Versicherte fühlen sich verschaukelt Warum die Betriebsrente sinkt

Düsseldorf · Die Politik hat den gesetzlichen Kassen auf Kosten jener geholfen, die Geld fürs Alter sparen wollten. Der Ärger ist zwar groß, aber noch scheint die Regierung sich nicht bewegen zu wollen.

 Betriebsrenten spielen für ein sorgenfreies Leben im Alter oft eine wichtige Rolle. Umso bitterer ist es, wenn viel weniger rauskommt als erwartet.

Betriebsrenten spielen für ein sorgenfreies Leben im Alter oft eine wichtige Rolle. Umso bitterer ist es, wenn viel weniger rauskommt als erwartet.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Schon der Begriff klingt wie eine Bedrohung: Doppelverbeitragung. Was damit gemeint ist, erleben viele Rentner als Desaster. Weil die Sozialkassen ihren vollen Anteil an der betrieblichen Altersvorsorge verlangen, reduziert sich die Auszahlung um knapp 19 Prozent. Aus 50 000 Euro werden 40 600 Euro. Ganz legal. Wir erläutern, wie das möglich ist.

Wie ist die Ausgangslage?

Vor knapp 20 Jahren fehlt es den gesetzlichen Kassen in Deutschland an Geld. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit liegen die Ausgaben weit über den Einnahmen. Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) bringt mit Zustimmung der Union das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ auf den Weg.

Folge: Seit 2004 müssen alle, die mit einer Betriebsrente fürs Alter vorsorgen, auf ihre späteren Auszahlungen den vollen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Dazu zählen auch Direktversicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds. Zuvor war auf die Auszahlung nur der halbe Beitragssatz fällig gewesen.

Wie hoch fällt die Belastung aus?

Maßgeblich ist der allgemeine Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung. Derzeit sind das 14,6 Prozent des Einkommens bis zur Bemessungsgrenze von 4537,50 Euro monatlich. Hinzu kommt der Zusatzbeitrag, den die Kassen je nach ihrer wirtschaftlichen Lage festlegen, im Schnitt derzeit 0,9 Prozent. Obendrauf kommt der Pflegebeitragssatz: Wer Kinder hat, zahlt 3,05 Prozent, ohne Kinder 3,3 Prozent. Insgesamt ergibt das einen Beitragssatz von fast 19 Prozent, der von der monatlichen Rente abzuziehen ist, und zwar bis zum Ende des Lebens.

Im Falle einer Kapitalausschüttung wird die Gesamtsumme fiktiv aufgesplittet. Der Rentner muss den Sozialkassen dann 120 Monate, also zehn Jahre lang, jeden Monat lang Sozialbeiträge für 1/120 der Auszahlung überweisen. Beispielrechnung: 50 000 Euro geteilt durch 120 Monate ergeben 416,66 Euro Rente pro Monat. Wer davon 18,8 Prozent abzieht, kommt auf 78,33 Euro, die jeden Monat an die Sozialkassen gehen. 78,33 Euro mal 120 Monate ergeben 9400 Euro, die weg sind. 50 000 Euro Altersvorsorge sinken also durch die sogenannte Doppelverbeitragung auf nur noch 40 600 Euro. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundessozialgericht haben diese Praxis für rechtens erklärt.

Gilt das für alle?

Nein, es gibt Ausnahmen. Wer im Monat unter der Freigrenze von derzeit 155,75 Euro liegt (also 1869 Euro im Jahr), zahlt keine Beiträge zur Kranken- und Pflegekasse. Aber: Ist die betriebliche Altersvorsorge nur einen Cent höher, müssen auf die gesamte Summe Beiträge abgeführt werden. Es handelt sich um eine Freigrenze, nicht um einen Freibetrag. Bei einer einmaligen Kapitalauszahlung wird so gerechnet: 155,75 Euro im Monat mal 120 Monate ergeben 18 690 Euro. Wer nicht drüber liegt, zahlt auf die Betriebsrente keine Sozialabgaben.

Verschont bleiben auch alle privat Krankenversicherten. Vermutlich war die Politik der Ansicht, dass deren Beiträge im Alter schon sehr hoch sind. Seit 2018 werden zudem Riester-Verträge im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge behandelt wie privat abgeschlossene Riester-Verträge: Bei Auszahlung fallen keine Beiträge an.

Warum hilft die Politik den Betriebsrentner nicht?

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Krankenkassenbeiträge auf Betriebsrenten ab 2020 halbieren. Mit dieser Position findet er in der Groko aber keine Mehrheit, insbesondere Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist dagegen.

Spahn will die Einnahmeausfälle von drei Milliarden Euro pro Jahr über Steuern ausgleichen. Die SPD möchte dagegen, dass die gesetzlichen Kassen über ihre Finanzreserven von derzeit mehr als 20 Milliarden Euro für einen Ausgleich sorgen. Beide Positionen scheinen aber nicht durchsetzbar.

Ein möglicher Kompromiss könnte sein, die Freigrenze von monatlich 155,75 Euro in einen Freibetrag umzuwandeln. Damit wäre allen Betroffenen zumindest teilweise geholfen. Die Einnahmeausfälle bei den Kassen betragen dann pro Jahr etwa 1,2 Milliarden Euro.

Als „nicht finanzierbar“ beurteilt das Spahn-Ministerium die Rückerstattung aller Beitragszahlungen seit 2004, die jenseits den halben Beitragssatzanteils von Betriebsrentnern gezahlt wurden. Volumen: etwa 40 Milliarden Euro.

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