Zwei Welten im Land der Fußball-WM

Die Regenbogennation will das beste Turnier aller Zeiten ausrichten. Doch Armut, Kriminalität und ein Streik sprechen dagegen.

Johannesburg. Nachts kommen die Ratten. Sie zwängen sich zwischen den Wellblechhütten hindurch und strömen auf die riesige Müllhalde am Rande des Townships Alexandra, immer auf der Suche nach Nahrung. Doch viel finden die Nager hier nicht. Denn die Menschen, die in dem Elendsviertel im Nordosten der südafrikanischen Metropole Johannesburg leben, sind selbst gute Müllverwerter. Die bittere Armut hat sie dazu gemacht.

Direkt vor dem stinkenden Berg zimmern fünf Männer eine Bar zusammen. Ein paar Holzbretter für die Theke, ein wenig Wellblech und Pappe als Seitenwände sowie Flaschenkorken, die als Unterlegscheiben zwischen den Verbindungsstücken dienen, reichen aus, um das kleine Gewerbe in einem Nachmittag aus dem Boden zu stampfen.

Alexandra ist nur durch die Stadtautobahn vom Nobelviertel Sandton getrennt. Dort gehen die Arbeiten an der Schnellzugverbindung zum Flughafen weniger schnell voran. Seit einer Woche sind die Bauarbeiter dort im Ausstand. Die Gewerkschaften fordern mehr Lohn. Im nächsten Jahr soll jeder Arbeiter mindestens 4000Rand (348Euro) pro Monat verdienen.

Das Jahr 2010 ist eine wichtige Zielmarke für Südafrika. Vom 11. Juni bis 11. Juli 2010 richtet die Regenbogennation die Fußball-Weltmeisterschaft aus - ein Ereignis, mit dem das Land große Hoffnungen verbindet. Doch der unbefristete Streik, dem sich landesweit rund 70000 Arbeiter angeschlossen haben, könnte die Fertigstellung einiger Projekte behindern. Neben dem Schnellzug drohen die Neu- und Umbauten der zehn WM-Austragungsstätten ins Stocken zu geraten.

3,3 Milliarden Euro lässt sich die neue Regierung unter Präsident Jacob Zuma das Spektakel kosten. "Wir sind mit all unseren Verpflichtungen im Plan und entschlossen, der Welt die beste WM aller Zeiten zu bieten", verspricht der 67-Jährige. Die WM als Krönung des demokratischen Wandels? Das Schwellenland hofft, mit dem Turnier in den Club der aufstrebenden Wirtschaftsnationen vorzudringen.

Das südafrikanische Finanzministerium spricht von institutionellem Wandel

"Das ist eine Chance für die Weiterentwicklung der Menschen", betont Malcolm Simpson, Chef der WM-Task-Force im Finanzministerium. Simpson spricht von einem "institutionellen Wandel", was nichts anderes heißt, als dass Korruption und ausufernde Bürokratie der Vergangenheit angehören sollen.

Viel haben sich die Organisatoren bei Deutschland, dem WM-Ausrichter 2006, abgeschaut. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert dabei Projekte der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). So nehmen rund 100Deutsche aus den Fußball-Austragungsorten 2006 in Südafrika an Konferenzen und Workshops teil und bringen ihre Erfahrungen ein. So entstehen etwa Fanmeilen, so werden Polizisten aus Teilnehmernationen als Ansprechpartner für die Fans abgestellt.

Experten der GTZ gingen mit Vertretern der WM-Städte sogar das Kleingedruckte in den Verträgen mit dem Fußball-Weltverband Fifa durch. "Wir wollen bei der WM 2014 für Brasilien ein ähnlicher Partner sein wie Deutschland es jetzt für uns ist", sagt Simpson.

Die Menschen in Alexandra haben andere Sorgen. Obwohl die Fußballbegeisterung hier groß ist, kann sich kaum jemand eine Eintrittskarte für ein Spiel des Nationalteams "Bafana Bafana" (= Jungs, Jungs) leisten. Mehr als 80Prozent der Township-Bewohner vegetieren in diesem Moloch vor sich hin, haben keinen Job, keine Perspektive.

Rebecca gehört fast schon zu den Privilegierten in Alexandra. Als Hausmädchen verdient sie monatlich 1200 Rand (104 Euro). Mit drei Schwestern und drei Kindern lebt die 38-Jährige in einer Wellblechhütte auf wenigen Quadratmetern. Eine winzige Küchenzeile, ein alter Fernseher, ein Bett - das ist das Reich der kleinen Familie. Die Väter? Die haben sich längst aus dem Staub gemacht. Sanitäre Einrichtungen? Rebecca lächelt und deutet auf acht Toilettenhäuschen neben der Müllhalde, die sich 4000Menschen teilen.

Die zur WM erwarteten 550000 ausländischen Touristen werden davon nichts mitbekommen. Offiziell gibt es zwar keine "No-Go-Areas", doch die Sorge ist groß, dass Fans Opfer von Gewalt werden könnten. Denn nirgendwo sonst ist die Kriminalität so hoch wie in Südafrika: täglich 50 Morde, 150 Vergewaltigungen, dazu Raub, Einbrüche und andere Gewalttaten.

Selbst den Verantwortlichen der Fifa kamen zwischenzeitlich Zweifel, ob Südafrika als WM-Ausrichter geeignet ist. Zumindest eine Sorge dürfte indes unbegründet sein: dass sich Fußballfans an die kleine Bar am Rande der Müllhalde in Alexandra verirren könnten.

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