Wohnungsnot „Zusammen gegen #Mietenwahnsinn“

Berlin/Düsseldorf · Zum „Wohnungsgipfel“ bei Merkel feuert Seehofer den Bau-Staatssekretär, vor dem Kanzleramt protestieren 200 Organisationen.

 Bei der Eigenheimquote in Europa liegt Deutschland weit hinten. Familien können jetzt Baukindergeld beantragen. Die Förderung bleibt umstritten.

Bei der Eigenheimquote in Europa liegt Deutschland weit hinten. Familien können jetzt Baukindergeld beantragen. Die Förderung bleibt umstritten.

Foto: picture alliance/dpa/Rainer Berg

In den fünf Jahren, die die große Koalition in Berlin regiert, sind die Kaltmieten in 79 der 80 größten Städte gestiegen. Im statistischen Mittel haben sich die Quadratmeterpreise von 7,50 auf 11,40 Euro erhöht. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Berechnung des Online-Portals Immowelt.de hervor, für die  286 300 inserierte Angebote ausgewertet wurden.

Die Berechnung ist Wasser auf die Mühlen von 200 Initiativen und Organisationen, darunter Deutscher Mieterbund, DGB, Paritätischer Wohlfahrtsverband und VDK, die am Donnerstag und Freitag zum „Wohnungsgipfel“ der Bundesregierung einen Gegengipfel vor dem Kanzleramt unter dem Motto „Gemeinsam gegen #Mietenwahnsinn“ veranstalten. Derweil tut Innen- und Bauminister Horst Seehofer (CSU) alles, um nicht nur vor der Tür, sondern auch im Kanzleramt für schlechte Gipfelstimmung zu sorgen.

Bereits im August veröffentlichte der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums (Peter Altmaier, CDU) ein Gutachten, in dem die Mietpreisbremse und der soziale Wohnungsbau als ungeeignet im Kampf gegen steigende Mieten verworfen wurden. Die 34 Wirtschaftswissenschaftler empfahlen, weiter auf die Kräfte des Marktes zu setzen und ärmeren Mietern höhere Zuschüsse zu zahlen. Darauf reagierte die SPD mit einem Zwölf-Punkte-Plan, der weit über die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags hinausgeht.

Wohnungsnot: Gipfel der Bundesregierung vor der Tür
Foto: klxm

Seehofer feuert Wohnungs-Experten für Maaßen

Vor knapp einer Woche erklärte Seehofer, dessen Job die Moderation dieser Kontroverse ist, noch in einem Interview mit der dpa, er glaube, der Gipfel „kann einen Schub geben, einen Aufbruch. Vielleicht schaffen wir es danach auch bei Planungsbeschleunigung und Entbürokratisierung voranzukommen. Das wäre wünschenswert.“ Zwei Tage vor dem Treffen stieß Seehofer nun mit einer Personalie sowohl die Vertreter der Immobilienwirtschaft wie auch der Sozialverbände vor den Kopf. Weil Ex-Bundesverfassungsschutz-Präsident Maaßen nun Staatssekretär im Seehofer-Ministerium werden soll, muss dort einer gehen. Seehofers Wahl fiel ausgerechnet auf den Experten für Wohnungswirtschaft, Gunther Adler (SPD). Für Hans-Georg Maaßen wird der 55-jährige Bau-Staatssekretär in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Terrorismus-Bekämpfer soll das Wohnungs-Thema übernehmen

Den Bau-Bereich soll innerhalb des Ministeriums nun Hans-Georg Engelke übernehmen: Jurist, Ex-Staatsanwalt, Ex-Verfassungsschützer, zuletzt mit Bundespolizei und Terrorismusbekämpfung befasst. Nicht nur die SPD bezweifelt, dass das die richtige Wahl ist, um die Wohnungsnot (Seehofer in seiner Haushaltsrede: „Bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit.“) in den Griff zu bekommen.

Die Versetzung von Baustaatssekretär Adler sei „ein Schlag in das Gesicht der Wohnungswirtschaft“, Seehofer „konterkariert den Wohngipfel und brüskiert eine ganze Branche“, empörte sich der frühere schleswig-holsteinische Innenminister Andreas Breitner (SPD), heute Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen. „Nicht im geringsten nachvollziehbar“ sei Seehofers Personal-Entscheidung, „ein fatales Zeichen und Unding“, zitiert der „Tagesspiegel“ Axel Gedaschko, Präsident der „GdW – die Wohnungswirtschaft“. Dass Seehofer nach dieser „Vorarbeit“ sein im Bundestag vollmundig verkündetes Ziel erreicht, darf man bezweifeln: Er wolle „den Schulterschluss mit den Ländern, Kommunen und Verbänden pflegen und einen Grundstein für die größte Wohnraumoffensive, die es je von einer Bundesregierung gab, legen.“

Was Seehofer für den Startschuss zum Bau von 1,5 Millionen neuen Wohnungen noch in dieser Legislaturperiode hält, halten rund 200 Wissenschaftler aus 46 deutschen Hochschulstandorten, darunter renommierte Professoren, für die falsche Politik. Sie plädieren für „den Schutz der Bestandsmieten, Gemeinnützigkeit und Demokratisierung“ der Wohnraumversorgung. Vor allem widersprechen die Wissenschaftler dem Papier aus dem Altmaier-Ministerium: „Der Markt versagt in der Bereitstellung eines sozial verträglichen Woh­nungsangebotes, weshalb es der entschiedenen Intervention der öffentlichen Hand bedarf.“

Wissenschaftler: Wohngeld subventioniert die Eigentümer

Während Seehofer stolz erklärt, er könne sich nicht an eine vergleichbare politische Initiative erinnern („es sind Milliarden Euro zusätzlich für den sozialen Wohnungsbau“), halten die Wissenschaftler dem Bauminister und Altmaiers Gutachtern vor, der Staat gleiche lediglich steigende Mieten „durch immer höhere Zahlungen in Form des Wohngelds oder Kosten der Unterkunft aus – und subventioniert damit steigende Erträge überwiegend privater Eigentümer.“ Jährlich würden öffentliche Gelder in der Höhe von etwa 18 Milliarden Euro für solche Förderungen ausgegeben, seit dem Jahr 2005 hätten sich die Ausgaben des Bundes in diesem Bereich mehr als verdoppelt.

Die gegenwärtigen Entwicklungen am Wohnungsmarkt führten zu „Spaltung und Polarisierung“. Wohnen sei in manchen Regionen und Städten Deutschlands zum Armutsrisiko ge­worden – mit der Folge wachsender Verteilungs­kämpfe um soziale Zuwendungen. Bisweilen schlügen diese in Hass und Wut auf Migranten um und beförderten rechte Tendenzen. „Die Wohnungsfrage ist zu sensibel und zu wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, als dass man sie einfach dem freien Markt überlassen könnte.“

>>Die Konzepte:

Wirtschafts-Ministerium Das Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft lesen Sie als PDF hier: goo.gl/h7XmEZ

Stellungnahme Die Gegenposition von rund 200 Wissenschaftlern „Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik“ lesen Sie in einer Vorab-Veröffentlichung der Zeitschrift „sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung“ als Voransicht und als PDF-Download hier: goo.gl/m5oFxr

12-Punkte-Papier: Der „SPD-Plan gegen steigende Mieten“ als PDF zum Nachlesen hier: https://goo.gl/NiQvto

Wohngipfel Informationen zum alternativen Wohngipfel „Zusammen gegen #Mietenwahnsinn“ finden Sie auf der Seite des DGB: goo.gl/j3uLd4

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