Wie gerecht ist die Wehrpflicht?

Das Bundesverfassungsgericht lehnt eine Überprüfung des Zwangsdienstes ab. Doch die politische Mehrheit schrumpft.

Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat eine inhaltliche Überprüfung der Wehrpflicht erneut abgelehnt. Das Karlsruher Gericht wies einen Vorstoß des Verwaltungsgerichts Köln als unzulässig ab, das die Wehrpflicht wegen der stark gesunkenen Zahl der Einberufungen für verfassungswidrig hält.

Die Verwaltungsrichter hätten ihre "Richtervorlage" lediglich "pauschal und unzureichend" begründet, heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. Im folgenden skizzieren wir die Debatte:

Darum tobt im Kern die Auseinandersetzung. Die Gegner der Wehrpflicht versuchen mit dem Vorwurf der Wehrungerechtigkeit, aus der Bundeswehr eine Freiwilligen- oder Berufsarmee zu machen. Am Freitag hat es das Bundesverfassungsgericht erneut abgelehnt, höchstrichterlich über Fragen der Wehrgerechtigkeit zu urteilen. Jetzt ist wieder die Politik am Zuge.

Ein Jahrgang umfasst derzeit 440.000 18-jährige Männer. Davon wurden im Jahr 2008 nur 243.000 als tauglich gemustert. Mehrfach wurden die Tauglichkeitskriterien gelockert: Wer verheiratet ist, muss nicht zum Bund.

Wer eine Lehre nachweisen kann, in der Regel auch nicht. Großzügig gehandhabt werden auch "krankheitsbedingte" Ausmusterungen. Auf diese Weise wird fast die Hälfte eines Musterungsjahrganges aussortiert. Vor einigen Jahren lag die Ausmusterungsquote nur bei 17 Prozent.

Von den im Jahr 2008 tauglich gemusterten 243.000 jungen Männern wurden tatsächlich nur 70.000 eingezogen. 90.000 entschieden sich für den Zivil- oder einen ähnlichen Dienst.

Der Verteidigungsminister ist wie alle seine Vorgänger per Amt ein Verfechter der Wehrpflicht und rechnet daher sehr großzügig: Derzeit liege die Quote der Einberufungen bei 79,1 Prozent, sagte Jung im Frühjahr, als sich die Gerichte schon einmal mit der Wehrpflicht befassen mussten. Der Minister verweist immer auf die Bevölkerungsentwicklung. Schon durch die sinkende Zahl der Heranwachsenden werde die Quote weiter ausgeschöpft.

So habe sich in den letzten drei Jahren die Zahl der 18-Jährigen in Ostdeutschland von 100.000 auf 50.000 halbiert. 37 Prozent der Bundeswehrsoldaten kämen aus Ostdeutschland. Mit der Einberufungsquote von 80 Prozent der tauglich Gemusterten habe die Bundeswehr inzwischen eine Zahl erreicht, die dem Begriff Wehrgerechtigkeit nach der ihm bekannten Rechtsprechung auch gerecht werde, behauptet Jung.

Viele Kritiker sagen ein klares Nein. Aber die Politik hält an der Fiktion fest: Verteidigungsminister Jung rechtfertigt die derzeitige Praxis mit der politisch gewollten hohen Zahl der Untauglichen.

Die untauglich Gemusterten könnten bei der Betrachtung der Wehrgerechtigkeit keine Rolle spielen: Vor allem in den Einsätzen brauche die Bundeswehr sehr gute, taugliche Soldatinnen und Soldaten. Deswegen könnten bei einem weiteren Rückgang der Jahrgangsstärken die Tauglichkeitskriterien auch nicht verschärft werden, sagte der Verteidigungsminister.

Zur Zeit nicht. Aber die Mehrheit schrumpft. 62 Prozent der Bevölkerung befürwortet laut einer Umfrage die Wehrpflicht. Von den Parteien stehen alleine CDU und CSU zur Wehrpflicht. Die SPD ist gespalten und hat eine parteiinterne Debatte vertagt. FDP und Grüne befürworten eine Freiwilligen- oder Berufsarmee. Die Linkspartei will die Wehrpflicht ebenfalls abschaffen.

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