Köln 2017 : Was die „Nafri“-Debatte offenbart
Ein polizeilicher Silvester-Einsatz und eine Begrifflichkeit beschäftigen die Republik in einem Ausmaß, das erschrecken muss. Eine Analyse.
Düsseldorf. Der Tübinger Medienprofessor Bernhard Pörksen hat angesichts der „Nafri-Debatte“ im Anschluss an die jüngste Kölner Silvesternacht eine „Eskalations-Rhetorik“ in dieser Republik ausgemacht. „Auf allen Seiten regiert eine Neigung zur Übertreibung“, sagte Pörksen am Montag dem „Deutschlandfunk“. „Man deutet einen Ausdruck sofort, man kommentiert, bevor man recherchiert. Die emotionalisierende Sofort-Deutung schlägt zu.“ Diese „zweite“ Kölner-Silvesterdebatte sei ein gutes Beispiel dafür, „wie Erregung unter den sehr aufgeheizten Bedingungen funktioniert“.
Über die Spaltung der Gesellschaft ist schon im vergangenen Jahr allerhand diskutiert worden. Jetzt treibt erneut eine Silvesternacht in Köln die Spaltung voran. So ironisch das daher kommt und wenig sinnvoll die Diskussion sein mag, so sehr verdeutlicht sie die gesellschaftliche Trennlinie zwischen zwei Extremen: Auf der einen Seite stehen jene, die weniger die vermeintlichen Taten im Blick haben als die grundsätzlichen Konsequenzen für die freie Welt. Auf der anderen Seite stehen die Pragmatiker, die zuerst von den Vorgängen der Kölner Silvesternacht 2015 her argumentieren.
Aus Sicht der ersten Gruppe fallen die Errungenschaften der freien Gesellschaft derzeit wie Dominosteine: Videoüberwachung ist Selbstverständlichkeit, die Bundespolizei nutzt Bodycams, über Fußfesseln wird diskutiert und Stigmatisierung als notwendiges Übel akzeptiert. Dazu stören sie sich am aufkeimenden gesellschaftlichen Rechtspopulismus, der sich im Aufschwung der AfD-Partei manifestiert. In diesem Kontext geschieht ihre Interpretation der neuen Vorgänge in Köln.
In der SPD störte sich am lautesten der ehemalige Piraten-Politiker Christoph Lauer an der Bezeichnung „Nafri“ und nannte diesen bei Twitter von der Kölner Polizei öffentlich verwendeten Terminus aus dem eigentlich nur behördeninternen Jargon „in hohem Maße entmenschlichend“. Amnesty International fand den Vorgang, Personen nach Nationalitäten zu kontrollieren, „menschenrechtswidrig“. Und der Komiker Jan Böhmermann fragte per Tweet: „Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Nafri und ´Neger?“
Gegen solche Aufregung argumentiert die andere Seite, die angesichts der gegenwärtigen Gefährdungslage bereit ist, rechtsstaatliche Errungenschaften bei wachsender terroristischer Bedrohung preiszugeben. In der Mehrheit nicht etwa, weil sie die nicht für wichtig hielten, sondern weil sie es für absolut notwendig erachten. Tenor: Ja, wann begreift ihr es denn endlich?