NRW Warum es in NRW-Gefängnissen eng wird

Die Lage scheint ernst zu sein im nordrhein-westfälischen Strafvollzug. Der Justizminister des Landes kündigt einen "Befreiungsschlag" an.

Mehr Menschen landen in den Gefängnissen in NRW.

Mehr Menschen landen in den Gefängnissen in NRW.

Foto: Oliver Berg

Düsseldorf. Die Lage scheint ernst zu sein im nordrhein-westfälischen Strafvollzug. Peter Biesenbach, seit etwas mehr als einem Jahr Justizminister des Landes, sieht jedenfalls einen hohen Handlungsdruck — angesichts sanierungsbedürftiger Haftanstalten bei gleichzeitig steigenden Gefangenenzahlen. Rechnerisch reichen die etwa 17 500 Haftplätze in den 36 Vollzugsanstalten des Landes zwar aus, um die 16 219 Gefangenen (Stand Mittwoch) unterzubringen.

Doch wegen notwendiger Sanierungsarbeiten sind derzeit knapp 1400 Zellenplätze nicht belegbar. „Wäre der Strafvollzug ein Hotelbetrieb, so würde man von einer hundertprozentigen Kapazitätsauslastung sprechen“, sagt der CDU-Politiker. Dennoch könne „kein Straftäter darauf hoffen, an der Pforte abgewiesen zu werden“.

Die hohe Auslastung, aber auch die zunehmend problematischer werdende Zusammensetzung der Klientel hinter den hohen Gefängnismauern mache einen „Befreiungsschlag“ für den Justizvollzug in NRW, aber auch in Deutschland insgesamt erforderlich, sagt Biesenbach. In den letzten Jahren sei der Anteil der ausländischen Gefangenen deutlich gestiegen. „Viele Gefangene sprechen kein Deutsch. Andere Gruppen, insbesondere Gefangene aus den nordafrikanischen Staaten, sind in den vergangenen Jahren durch einen schwierigen Umgang aufgefallen.“ Nicht wenige Gefangene fielen dadurch auf, dass sie psychisch labil sind oder an psychiatrischen Vorerkrankungen leiden. Bei ihnen habe der Konsum synthetischer Drogen die Persönlichkeit verändert und führe zu aggressivem Verhalten und behandlungsbedürftigen Psychosen und Neurosen.

All das zeige, wie anspruchsvoll die Aufgabe für die Bediensteten im Justizvollzug sei, so der Minister. Sie seien eben nicht nur für die Sicherheit da, sondern für die Gefangenen seien sie Ausbilder, persönlicher Betreuer, Dolmetscher, Sozialarbeiter, Psychologe und vieles mehr. „Fachleute und eben nicht nur Schließer“.

Gerade weil die Ansprüche an den Beruf hoch sind, sei es schwierig, die mit dem NRW-Haushalt 2018 neu geschaffenen 230 Stellen zu besetzen. Nach Angaben des Bundes der Strafvollzugsbediensteten sind 400 der insgesamt 6360 Stellen im allgemeinen Vollzugsdienst unbesetzt.

Anders als der Berufsverband spricht Jakob Klaas hingegen nur von 223 offenen Stellen. Der ehemalige Leitende Oberstaatsanwalt spielt eine wichtige Rolle in Biesenbachs angekündigtem Befreiungsschlag. Er ist Chef der Abteilung Justizvollzug im Ministerium, wozu eine neue Einheit mit dem holprigen Titel „Landesjustizvollzugsdirektion“ zählt. Diese soll sich intensiv um neue Konzepte und Handlungsansätze im Justizvollzug kümmern. Damit solle der Justizvollzug in NRW „Vorreiter eines modernen Strafvollzugs in Deutschland“ werden, kündigt Biesenbach an.

Während der Minister als, wie er selbst sagt, „Handlungsreisender in Sachen Standortsuche für idealerweise zwei neue Haftanstalten“ unterwegs ist, soll sich die Einheit um Jakob Klaas Gedanken machen, wie man mit den schwieriger werdenden Problemen im Strafvollzug klarkommen kann. Wie etwa der Bekämpfung des in den Anstalten blühenden Drogenschmuggels. Rund 70 Prozent aller weiblichen Gefangenen und zwei Drittel der männlichen Häftlinge sind nach Einschätzung des Justizministeriums drogenabhängig.

Die Drogen kommen entweder über Besucher in die Anstalt, oder über Gefangene im offenen Vollzug, die nur die Nächte und Wochenenden im Knast verbringen. Es müssten wohl neben den bisher acht Drogenspürhunden weitere tierische Ermittler angeschafft werden, ist einer der Pläne. Diese könnten auch bei einer anderen Aufgabe hilfreich sein: dem Aufspüren von in den Haftanstalten verbotenen Handys, über die ja auch der Drogenkauf eingefädelt wird. Es gebe Hunde, die den Handyakku riechen und aufspüren könnten, hieß es gestern.

Wichtige Aufgabe für die neue Taskforce soll die Suizidprävention sein. Auch wenn man nicht ganz verhindern könne, dass sich Häftlinge in der Ausnahmesituation des Eingesperrtseins, in verzweifelt erscheinender Lage und abgeschnitten von vielen sozialen Kontakten, selbst töten, könne es aber doch auch neue Präventionsmaßnahmen geben.

Minister Biesenbach ist nicht glücklich mit bisherigen Praktiken einer viertelstündlichen Kontrolle — auch in der Nacht — wenn man einen Häftling für suizidgefährdet hält. Das Thema hatte im Fall des prominenten Häftlings Thomas Middelhoff eine Rolle gespielt. Der Ex-Manager hatte sich heftig darüber beklagt, alle 15 Minuten geweckt worden zu sein. Bei einer USA-Reise, so erzählt Biesenbach, sei er auf ein System aufmerksam geworden, das suizidgefährdete Häftlinge nicht ununterbrochen filmt und ständig überwacht. Ein System, bei dem die Kamera erst bei bestimmten Bewegungen zu laufen beginnt. Die Computer-gestützte Videokamera soll dank gespeicherter Bewegungsmuster erkennen, wenn ein Gefangener einen Suizid vorbereitet. Wenn etwa ein Betttuch zerrissen, eine Schlaufe um den Hals gelegt oder eine Schnur an den Heizkörper gebunden wird.

Mehr Personal, so man es denn findet, soll für eine intensivere psychiatrische Versorgung verhaltensauffälliger Gefangener eingesetzt werden. Weil „kein Gefangener allein durch Wegsperren wieder zu einem guten Menschen wird“, wie Biesenbach es ausdrückt. Die Taskforce soll daher auch Konzepte für eine bessere Resozialisierung entwickeln. Etwa beim Übergangsmanagement nach der Haftentlassung. Oder dadurch, dass man mit kindgerechten Besucherräumen die Kontakte inhaftierter Eltern zu ihren Kindern zu stärken hilft.

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