Von Kirgistan aus droht ein Flächenbrand

Analyse: Mehrere zentralasiatische Republiken stehen vor einer islamistischen Umsturz-Welle.

Düsseldorf. Der blutige Machtwechsel in Kirgistan schien uns eher als eine ferne Episode, die schon zwei Tage später keine Schlagzeile mehr verdiente. Dabei hätte uns alarmieren müssen, dass sich der russische Präsident Medwedew und US-Präsident Obama sofort gemeinsam bemühten, einen drohenden Bürgerkrieg zu verhindern und den gestürzten Diktator Bakijew zum Gang ins Asyl in Kasachstan zu überreden. Denn beiden Großmächten war bei aller Konkurrenz um Einfluss in dieser Region bewusst, dass die Flammen in Kirgistan ganz Zentralasien in Brand setzen konnten. Medwedew sprach das offen aus: "Wenn die Machthaber nicht in der Lage sind, die akutesten Probleme der Menschen zu lösen, dann kann sich dieses Szenario überall (in Zentralasien) wiederholen."

Und es ist offensichtlich, dass die ehemaligen Sowjetrepubliken Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan nach dem Wegfall der russischen Alimentierung gescheiterte Staaten sind, deren Lebensstandard nur noch einen Bruchteil dessen erreicht, was zu Sowjetzeiten die Norm war. Der Putsch in Kirgistan war nur das Vorspiel, und ein harmloses dazu: Denn in Kirgistan ist die Opposition nicht religiös, sondern denkt durch ihre Verankerung im russisch geprägten Norden in europäisch-rationalen Kategorien. Die Herrscher in Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan aber haben jede moderate Opposition brutal ausgeschaltet. Den einzig organisierten Widerstand bilden hier radikale Islamisten, die stabile Strukturen gebildet haben und soziale Arbeit erfolgreich mit politischer Propaganda verbinden.

Daneben und damit verbunden existieren bewaffnete Islamisten-Gruppen, die seit Jahren in Afghanistan aktiv sind, um ihren Glaubensgenossen im Kampf gegen die US-Truppen beizustehen. Ihr Hauptziel aber bleibt der Sturz der Regime in ihrer Heimat. Und Experten sind überzeugt, dass diese Regime früher oder später weggespült werden.

Die Machthaber wiederum machen den Afghanistankrieg für die Radikalisierung verantwortlich und kassieren in Moskau und Washington kräftig ab, ohne dass die Bevölkerung etwas davon hätte. Zwar mag Afghanistan zur Radikalisierung beitragen. Aber ein Abzug der Amerikaner würde die Probleme keineswegs lösen. Im Gegenteil, meint Alexander Rahr, Zentralasienexperte der deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik. Dann würde sich die Front in die Heimatländer zurückverlagern, ganz Zentralasien würde ein zweites Afghanistan. Und es gibt wenig Hoffnung, dass sich das noch verhindern ließe.

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