„Münchner Sicherheitskonferenz“ Von der Leyen fordert in der Nato Fairness von den USA

München · Die Verteidigungsministerin räumt auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein, dass Europa und Deutschland finanziell mehr innerhalb der Nato tun müssten.

 Ursula von der Leyen (CDU), Bundesverteidigungsministerin beim ersten Tag der 55. Münchner Sicherheitskonferenz.

Ursula von der Leyen (CDU), Bundesverteidigungsministerin beim ersten Tag der 55. Münchner Sicherheitskonferenz.

Foto: dpa/Tobias Hase

Sechsmal hat Ursula von der Leyen (CDU) nun seit 2013 als Bundesverteidigungsministerin an der „Münchner Sicherheitskonferenz“ teilgenommen. Wenn für ihren gestrigen Auftritt das gleiche gilt wie für die bisherigen fünf, dann war ihre Eröffnungsrede zur 55. Sicherheitskonferenz eine verstärkende Vorwegnahme dessen, was Bundeskanzlerin Angela Merkel heute (Samstag, 16. Februar) in München vortragen wird: Klare, europäische Kante im Umgang vor allem mit dem Verbündeten USA.

Von der Leyen räumte ein, Europa und vor allem Deutschland müssten nicht zuletzt finanziell innerhalb der Nato mehr tun. Die Forderungen der USA seien berechtigt. Noch am Freitagmorgen hatte das Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung neues Salz in diese Wunde gestreut: Rumänien, Lettland und Litauen würden das Zwei-Prozent-Ziel bald erreichen, Deutschland dagegen nicht. Während Großbritannien das Ziel seit Jahren erreiche und Frankreich mit 1,8 Prozent „auf einem sehr guten Weg“ sei, so Niklas Potrafke, Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie, sei Deutschland „trotz Erhöhungen des Wehretats in den letzten Jahren weit davon entfernt, sich an seine Zusage zum Zwei-Prozent-Ziel zu halten.“ Und: „Im Vergleich mit anderen großen Nato-Ländern stehen wir schlecht da.“

Da wirkte es eher hilflos, dass von der Leyen wiederholt betonte, Deutschland habe seine Ausgaben nach den Nato-Kriterien seit 2014 bereits um 36 Prozent gesteigert. Ihrerseits mahnte die Ministerin an, „das Prinzip der Fairness in der transatlantischen Partnerschaft“ hochzuhalten. Dies gelte nicht nur für Lasten, sondern müsse auch für Entscheidungen gelten. „Entscheidungen müssen in der Allianz gemeinsam besprochen werden, das muss auch für Syrien und den Irak gelten“, sagte von der Leyen an die Adresse von US-Präsident Donald Trump, ohne ihn in ihrer Rede ein einziges Mal namentlich zu nennen.

Von der Leyen trat dafür ein, gemeinsam mit der Nato die Substanz des Abrüstungsvertrags INF zu erhalten, den die USA nach Vorwürfen gegen russische Verstöße gekündigt haben. Innerhalb der Nato müsse man „gemeinsam beraten, welcher kluge Mix an Maßnahmen zu ergreifen ist, wenn Russland nicht beidreht.“ Auch in Sachen der jüngsten Beschlüsse Trumps, US-Truppen abzuziehen, widersprach die Bundesverteidigungsministerin dem US-Präsidenten. Die Mission gegen den Terror gehe weiter, so von der Leyen, der IS sei noch nicht besiegt. Und: „Die Kurden, die so tapfer gefochten haben, müssen am Wiederaufbau beteiligt werden.“

„Wir sollten nicht so tun, als seien wir moralischer oder weitsichtiger als andere“

Dass Europa auf dem Weg zu einer europäischen Verteidigungsunion sei, nütze auch der Nato, indem es die Streitkräfte der EU-Staaten einsatzfähiger mache. In Richtung der eigenen Bundesregierung sagte von der Leyen, man müsse in Berlin „mit manchem Widerspruch aufräumen“. So sei Deutschland in der EU-Außenpolitik für ein Mehrheitsprinzip. Dazu müsse man anerkennen, dass die deutschen Positionen „nicht immer mehrheitsfähig“ seien. Das gelte auch für Rüstungsexporte: „Wir sollten nicht so tun, als seien wir moralischer oder weitsichtiger als andere“, sagte die Verteidigungsministerin. Entscheidend sei, einen gemeinsamen europäischen Standpunkt zu finden.

Außenminister Heiko Maas (SPD), der in München gestern am frühen Abend sprach, widersprach von der Leyen nicht, betonte jedoch: „Sicherheit bemisst sich nicht allein im wachsenden Verteidigungsbudget.“ Gerade in einer unsicheren Welt setze Deutschland auf Multilateralismus, internationale Zusammenarbeit und ein starkes, handlungsfähiges Europa: „nicht als Objekt, sondern als starker Akteur“. Maas kündigte an, Deutschland werden im April seinen Vorsitz im UN-Sicherheitsrat nutzen, um nach dem Scheitern des INF-Vertrags den Anstoß zu mehr Abrüstungs-Dialog zu geben und dabei auch China stärker einzubeziehen.

Von der Leyen beschrieb die Nato als politische Allianz: „Interessen und Werte - beides muss uns als Nato-Verbündete leiten.“ Gerade Werte seien in emotionalen Zeiten umso wichtiger: „Zur Wahrheit gehört auch, dass uns das in der Vergangenheit nicht immer gelungen ist.“ Was von der Leyen nicht sagte: Merkels Plan, die Sicherheitskonferenz zu einem starken Signal europäischer Multilateralisten gegen national-präsidiale Autokraten und Rüpel zu machen, kann ohne den französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht aufgehen, der aus innenpolitischen Gründen nicht nach München kommt. Damit hat die Konferenz aus (deutscher Sicht) ihr Ziel bereits vor Beginn in großen Teilen verfehlt - trotz überraschend kräftiger Bildsymbole.

Keine eindeutige Sprachregelung, was genau die „europäischen Armee“ ist

So trat Konferenz-Chef Wolfgang Ischinger zur Begrüßung in einem Kapuzen-Pulli in der Anmutung einer Europa-Fahne vor das Mikrofon. Nachdem Jean-Claude Juncker als Präsident der EU-Kommission bei der Sicherheitskonferenz 2018 die „Weltpolitikfähigkeit“ Europas angemahnt habe, komme es nun darauf an, ein deutsches 48-Buchstabenwort zu lernen, so: „Weltpolitikfähigkeitsverlustvermeidungsstrategie“. Das Problem des deutschen Europa-Drängens: Von der Leyen und Merkel haben bis heute keine eindeutige, abgestimmte und vermittelbare Sprachregelung gefunden, was genau sie sich unter einer „europäischen Armee“ vorstellen. Nach dem Ausstieg der USA und Russland aus dem Abrüstungsvertrag INF ist die künftige Atomstrategie der Nato und der Europäer in der Nato weitgehend unklar.

Für Ursula von der Leyen könnte „Weltpolitikfähigkeitsverlustvermeidungsstrategie“ bedeuten: Ihre Chancen, aus München als Ministerin für Selbstverteidigung nach Berlin zurückzukehren, sind groß. Denn die Sicherheitskonferenz dient nicht zuletzt denen, die ihr fernbleiben, als Abwurfplatz für politischen Sprengstoff. US-Vizepräsident Mike Pence wird aller Voraussicht nach versuchen, weiter Druck auf die Europäer auszuüben, aus dem Iran-Atom-Abkommen auszusteigen, während Trump zuhause am nationalen Notstand schraubt. Israels Premier Benjamin Netanjahu hat München abgesagt und droht stattdessen von einer umstrittenen Nahost-Konferenz in Warschau dem Iran mit Krieg.

Am Ende der dreitägigen Konferenz wird es eine einfache Statistik-Aufgabe sein, zu messen, wie es um die 2018 in München von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verlangte „Weltpolitikfähigkeit“ Europas bestellt ist: Man muss nur zählen, über wieviele Stöckchen die Europäer gesprungen sind. Und sie dürfen sicher sein: Trump, Putin und die Chinesen zählen sehr genau mit.

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