Politik Verkaufsoffene Sonntage - Der siebte Tag lässt sie nicht ruhen

Der Streit um verkaufsoffene Sonntage wird immer häufiger juristisch geklärt. Derzeit haben die Gegner die Gerichte auf ihrer Seite.

Politik: Verkaufsoffene Sonntage - Der siebte Tag lässt sie nicht ruhen
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Düsseldorf. Wenn am Sonntag der 1. Advent den Blick auf das nahende Weihnachtsfest öffnet, bleiben die Geschäfte in Hiltrup zu — und Münster hat sich den „Ruf der Spießerhauptstadt“ eingehandelt. Glaubt jedenfalls die örtliche CDU. Sie hatte sich bis zuletzt gegen ein Verbot verkaufsoffener Sonntage gewehrt. Doch dann kam der 6. November und mit ihm der bundesweit erste Bürgerentscheid zu dem Thema. Seitdem ist alles anders in Münster.

Politik: Verkaufsoffene Sonntage - Der siebte Tag lässt sie nicht ruhen
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Fast 250 000 Münsteraner waren stimmberechtigt, gut 55 000 nahmen das Recht auch wahr. Und eine knappe Mehrheit von 52,8 Prozent stimmte dafür, den Ratsbeschluss vom Mai über zusätzliche verkaufsoffene Sonntage im Stadtgebiet wieder aufzuheben. Im Nachgang zum Bürgerentscheid kippte die Verwaltung gleich auch noch die zuvor schon genehmigten Sonntage; sie entsprächen nicht mehr der aktuellen Rechtsprechung. Seither gibt es in Münster gar keine verkaufsoffenen Sonntage mehr.

Diese aktuelle Rechtsprechung hatte zuvor kräftig auf die Handelsbremse getreten. Als die Münsteraner am 6. November noch abstimmten, standen die Menschen in Elberfeld, Barmen und Vohwinkel schon vor verschlossenen Geschäften. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte die geplanten verkaufsoffenen Sonntage in den Wuppertaler Stadtteilen gestoppt. Ähnliche Urteile gibt es in anderen Städten. Sie orientieren sich an Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts im November 2015 und des Oberverwaltungsgerichts Münster im Juni dieses Jahres. Nach dem Ladenöffnungsgesetz NRW dürfen pro Gemeinde oder Ortsteil höchstens vier Sonntage im Jahr für maximal fünf Stunden verkaufsoffen sein. Gibt es eine Beschränkung auf einen oder mehrere Ortsteile, können innerhalb einer Kommune in Summe nur bis zu elf Sonntage freigegeben werden. Grundsätzlich aber ist bei jeder Erlaubnis ein örtlicher Anlass wie ein Fest, ein Markt oder eine Messe Voraussetzung. Und dieser Anlass, so die Richter, muss größere Besucherströme anziehen als die Sonntagsöffnung selbst. Damit soll das Schaffen von Scheinanlässen verhindert werden.

Die schwarz-gelbe Landesregierung hatte die Regelung für die verkaufsoffenen Sonntage 2006 noch gelockert. Nach dem Wechsel zu Rot-Grün folgte erst ein jahrelanger Diskussionsprozess mit allen Seiten; am Ende stand 2013 der bis heute gültige Kompromiss im Ladenöffnungsgesetz. So richtig glücklich wurde aber keine der beteiligten Seiten damit. „Irgendwann hat der Handel angefangen, jeden Kindergeburtstag zum Anlass zu nehmen, eine Ladenöffnung zu beantragen“, sagt Günter Niemeyer, Sprecher des Verdi-Landesbezirks NRW. Seitdem sind die Gerichte gefordert.

Die Gewerkschaft steht bei der Verteidigung der Sonntagsruhe nicht alleine da: Ob beim Bürgerentscheid in Münster oder der im März 2010 gegründeten „Allianz für den freien Sonntag“ — immer sind evangelische und katholische Kirche an ihrer Seite. Was angesichts des Themas nicht verwundert.

„Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.“ So endet in der Bibel die Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose. Die Juden ehren den siebten Tag am Sabbat (von Freitag- bis Samstagabend). Im frühen Christentum rückte stattdessen der erste Tag der jüdischen Woche, der heutige Sonntag, in den Blick — als Zeichen der Auferstehung Christi. 321 erklärte der römische Kaiser Konstantin der Große den „Sonnentag“ erstmals zum Feier- und Ruhetag.

Eine Tradition, die in Deutschland, wo mittlerweile der Sonntag als siebter Tag der Woche gilt, bis heute Verfassungsrang hat. „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“, heißt es im Grundgesetz. Und in der nordrhein-westfälischen Landesverfassung steht entsprechend: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage werden als Tage der Gottesverehrung, der seelischen Erhebung, der körperlichen Erholung und der Arbeitsruhe anerkannt und gesetzlich geschützt.“

Dem steht die Arbeitswirklichkeit vieler Menschen gegenüber. Rund ein Viertel der Erwerbstätigen arbeitet mittlerweile gelegentlich oder regelmäßig sonntags. Allerdings gilt weiter ein Verbot gerade für Arbeiten, die dem Werktags-Trubel die Tür öffnen könnten. Im NRW-Gesetz über die Sonn- und Feiertage heißt es in Artikel 3: „An Sonn- und Feiertagen sind alle öffentlich bemerkbaren Arbeiten verboten, die geeignet sind, die äußere Ruhe des Tages zu stören, sofern sie nicht besonders erlaubt sind. Bei erlaubten Arbeiten sind unnötige Störungen und Geräusche zu vermeiden.“

Die Verteidiger der Sonntagsruhe argumentieren mit der Entschleunigung, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt notwendig sei. Der Sonntag sei eine soziale Errungenschaft und als Tag der Ruhe, Gemeinschaft und Befreiung von Sachzwängen unverzichtbar. Die Ausweitung der Ladenöffnungen an Sonntagen stehe dem entgegen.

Spitzen von Warenhäusern, Handelsketten und des Einzelhandelsverbands fordern indes eine klare gesetzliche Regelung. Sie wollen, dass die Sonntagsöffnung nicht „anlassbezogen“ sein muss. Olivier Van den Bossche, Vorsitzender der Geschäftsführung der Galeria Kaufhof, sagte in der „Süddeutschen Zeitung“: „Deutschland macht bei der Sonntagsöffnung gerade eine Rolle rückwärts. Während tief katholische Länder in Europa wie Italien und Polen mit der Öffnung der Läden am Sonntag kein Problem haben, fallen zahlreiche bereits von den Städten genehmigte Sonntage derzeit wie die Dominosteine.“

Die Befürworter des Sonntagsverkaufs führen vor allem den wachsenden Online-Handel ins Feld, der rund um die Uhr möglich sei und dem Einzelhandel vor Ort das Leben schwermache. Verkaufsoffene Sonntage trügen zudem dazu bei, die Innenstädte attraktiv zu halten und der Verödung entgegenzuwirken.

In ihrem Wahlprogramm für 2017 formuliert die FDP die Maximalforderung: „Das allgemeine Verkaufsverbot für den Einzelhandel an Sonntagen wollen wir aufheben. Der Einzelhandel soll vollumfänglich über die Öffnungszeiten auch an Sonntagen selbst entscheiden.“ Will heißen: Einkaufen soll an sieben Tagen rund um die Uhr erlaubt sein.

Nicht überall sind die Fronten allerdings völlig verhärtet. In Münster, so ein Sprecher der Verwaltung, werde man Anfang nächsten Jahres die Konfliktparteien an einen Tisch bitten, um eine für alle tragfähige Lösung zu finden. Und in Wuppertal wird der Stadtrat am Montag darüber entscheiden, ob der mit Handel, Verdi und Kirchen vereinbarte Kompromiss greift. Dann könnten die Geschäfte im Kernbereich von Elberfeld, Barmen und Ronsdorf am 2. Advent öffnen.

Auch in Solingen ist gestern ein Kompromiss erzielt worden. Am 4. Dezember dürfen die Geschäfte in Solingen öffnen — allerdings in einem klar begrenzten Bereich rund um den Weihnachtsdürpel in Ohligs. Für die verkaufsoffenen Sonntage in Mitte und Wald müssen die Verwaltung und der Handelsverband noch Daten aufbereiten, die Besucherfrequenzen zuverlässig prognostizierbar machen. In Remscheid waren bereits Einigungen für Lennep (11. Dezember) und Lüttringhausen (27. November) erreicht worden.

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