Krieg in der Ukraine Ukraine versucht Rettung aus Mariupol - Bangen um russisches Gas

Update | Kiew/Moskau · Zehntausende sind immer noch in verzweifelter Lage in der belagerten ukrainischen Hafenstadt Mariupol. Immer wieder scheiterte die Evakuierung. Kann es diesmal klappen? Aus Kiew macht sich derweil ein prominenter Ukrainer auf nach Berlin.

 Die Situation in Mariupol spitzt sich immer weiter zu.

Die Situation in Mariupol spitzt sich immer weiter zu.

Foto: lokal/Imago

Fünf Wochen nach Beginn des russischen Angriffs hat die Ukraine am Donnerstag erneut versucht, Bewohner vor Hunger und Zerstörung aus Mariupol zu retten. Die Regierung schickte nach eigenen Angaben 45 Busse in die belagerte Hafenstadt, nachdem Moskau eine Feuerpause angeboten hatte. Zugleich gab es vielerorts weiter Kämpfe. In Deutschland wurde gerätselt, ob Russland wie bisher Gas liefert und wie künftig dafür bezahlt wird. Vorerst floss Leitungsgas nach russischen Angaben aber normal durch die Ukraine nach Westen.

Der russische Präsident Wladimir Putin wollte noch am Donnerstag mit Vertretern des Energieriesen Gazprom und der russischen Zentralbank beraten. Hintergrund ist die Ankündigung Russlands, Gas nur noch gegen Zahlungen in Rubel zu liefern. Deutschland und andere westliche Staaten pochen darauf, weiter in Euro und Dollar zu zahlen.

Am Mittwoch hatte es Signale der Entspannung gegeben. Putin sagte nach deutschen Regierungsangaben in einem Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die westlichen Zahlungen könnten auch nach dem 1. April wie üblich in Euro an die Gazprom-Bank gehen. Die Bank konvertiere dann das Geld in Rubel. Scholz habe dem nicht zugestimmt, sondern um schriftliche Informationen gebeten.

Auch vielen Experten scheint unklar, was Putin genau bezweckt. Nach Einschätzung westlicher Geheimdienste wurde der russische Präsident teils falsch über die Lage im Krieg informiert. Putins Berater hätten Angst, ihm die Wahrheit zu sagen, sagte der Chef der britischen Geheimdienstbehörde GCHQ, Jeremy Fleming, in Australien. Zuvor hatte sich die US-Regierung ähnlich geäußert.

Selenskyj: Russland zieht sich nicht freiwillig zurück

In Verhandlungen mit der Ukraine über ein Ende des Kriegs hatte Russland am Dienstag angekündigt, seine Kampfhandlungen an der nördlichen Front deutlich zurückzufahren. Die Gespräche mit der russischen Delegation sollen nach Angaben des ukrainischen Verhandlungsführer David Arachamija am 1. April im Online-Format fortgesetzt werden.

Nach Erkenntnissen der US-Regierung hat Russland binnen 24 Stunden etwa 20 Prozent seiner Truppen aus der Umgebung der Hauptstadt Kiew abgezogen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte jedoch in einer Videobotschaft, Russland ziehe nicht freiwillig ab, sondern werde von der ukrainischen Armee verdrängt. Gleichzeitig gebe es einen Aufmarsch russischer Truppen für neue Angriffe im Donbass, sagte Selenskyj. „Ja, es gibt einen Verhandlungsprozess, der fortgesetzt wird. Aber es sind bisher Worte. Nichts Konkretes.“

Er bekräftigte die Forderung nach Hilfe der westlichen Partner, etwa Panzer, Flugzeuge und Artilleriesysteme. Später verlangte Selenskyj in einer Video-Rede vor dem australischen Parlament auch weitere Sanktionen gegen Moskau. Vor dem niederländischen Parlament drang er darauf, die Einfuhr von Energie aus Russland zu stoppen.

Der frühere Box-Weltmeister Wladimir Klitschko reiste nach Deutschland, um bei Spitzenpolitikern um Unterstützung der Ukraine zu werben, wie sein Bruder Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, mitteilte. Es gehe dabei um wirtschaftliche, humanitäre und militärische Hilfe. Klitschko wollte in Berlin auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck treffen, wie eine Sprecherin des Ministeriums bestätigte.

Busse nach Mariupol

Für die umkämpfte Stadt Mariupol sollte ab Donnerstagmorgen eine russische Feuerpause gelten, um Menschen zu retten und Hilfe in die Stadt zu bringen. Frühere Evakuierungsversuche aus Mariupol waren teils gescheitert. Ob es diesmal klappen würde, war zunächst unklar. „Wir tun alles Mögliche dafür, dass die Busse heute nach Mariupol gelangen und die Menschen abholen, die es noch nicht aus der Stadt heraus geschafft haben“, sagte die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk. In der weitgehend zerstörten Großstadt am Asowschen Meer sollen sich noch mehr als 100 000 Menschen befinden.

Zusätzlich seien zwei humanitäre Korridore in die ebenfalls von russischen Truppen besetzten Städte Melitopol und Enerhodar im Gebiet Saporischschja vereinbart worden, hieß es weiter. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock appellierte an Russland, Flucht und Hilfen zu ermöglichen. „Humanitäres Völkerrecht ist einzuhalten“, erklärte die Grünen-Politikerin in Berlin.

Ukraine: Raketenangriff auf Öldepot in Dnipro

In der Nacht auf Donnerstag zerstörte eine russische Rakete in der Großstadt Dnipro nach Angaben beider Seiten ein Treibstofflager, in Nowomoskowsk nordöstlich von Dnipro schlug demnach eine Rakete in eine Fabrik ein. In beiden Fällen soll es nach ukrainischen Angaben keine Toten gegeben haben.

Russland meldete seinerseits Angriffe in der Ostukraine. Die Ortschaft Solota Nywa südwestlich von Donezk sei nun unter russischer Kontrolle, erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau laut Agentur Interfax. Auch im von Russland als unabhängig anerkannten Separatistengebiet Luhansk sollen Einheiten vorgerückt sein. Insgesamt seien seit Mittwoch 53 ukrainische Militärpunkte durch Luftschläge zerstört worden, darunter Flugabwehr-Raketensysteme sowie Munitions- und Waffenlager, erklärte das Ministerium. Die Angaben der Kriegsparteien sind nicht unabhängig zu überprüfen.

Wegen des Kriegs sind nach UN-Angaben schon mehr als vier Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. In Deutschland wurden seit dem 24. Februar insgesamt 288 500 Kriegsflüchtlinge erfasst, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. Binnen eines Tages kamen 5100 hinzu. Da Ukrainer visumsfrei einreisen dürfen, werden nicht alle Ankommenden erfasst - die tatsächliche Zahl dürfte daher höher sein. Nach Polen reisten allein am Mittwoch nach Angaben des Grenzschutzes 25 500 Menschen ein. Insgesamt sind dort inzwischen knapp 2,4 Millionen Menschen aus der Ukraine angekommen.

(dpa)
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