Gestrickte Wahrheiten Wie Verschwörungstheorien funktionieren

DÜSSELDORF · Der Tübinger Professor Michael Butter befasst sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Phänomen

6. Januar 2021: Unterstützer von US-Präsident Trump im Kapitol. Unter den Eindringlingen auch Anhänger der rechten „QAnon“-Verschwörungstheorie.

6. Januar 2021: Unterstützer von US-Präsident Trump im Kapitol. Unter den Eindringlingen auch Anhänger der rechten „QAnon“-Verschwörungstheorie.

Foto: Manuel Balce Ceneta/AP/dpa/Manuel Balce Ceneta

Dass die Amerikaner angeblich nicht auf dem Mond gelandet sind, ist eine der harmloseren Verschwörungstheorien. Hier zuckt auch Michael Butter nur mit den Achseln und denkt über sein Gegenüber: soll er oder sie doch daran glauben. Aber es gibt auch Verschwörungstheorien, die Einfluss auf das Leben, das Funktionieren der Gesellschaft haben. Theorien wie die von dem harmlosen Coronavirus. Und von dunklen Mächten, die Panik schüren, um Grundrechte zu beschneiden. Ist eigentlich der Eindruck richtig, dass sich solche Erzählungen häufen?

Auch darauf kommt Michael Butter zu sprechen in seinem Vortrag, den er im Düsseldorfer Stadtmuseum gehalten hat. Der Tübinger Professor für Amerikanistik beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren wissenschaftlich mit Verschwörungstheorien. Wie erklärt Butter das Phänomen? Eine Zusammenfassung:

Was sind Verschwörungstheorien?

Sie gehen davon aus, dass nichts so ist, wie es scheint. Und dass nichts durch Zufall geschieht. Alles ist geplant und miteinander verbunden.  Und hinter dem Plan gibt es jemanden, der profitiert. Beispiel: Wer hat von den Anschlägen des 11. September 2001 profitiert? Die Antwort: die US-Regierung Bush, weil sie im Irak einmarschieren konnte. Dann wird die entsprechende Indizienkette rückwärts gestrickt. Und alles passend gemacht, nicht Passendes wird weggelassen.

Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?

Betroffen sind oftmals Menschen, die schlecht mit Unsicherheit umgehen können. Denn das zusammengestrickte Thesengebäude bietet eine nur noch schwer verrückbare scheinbare Sicherheit. Beispiel: Während der  Coronapandemie gab es sehr viel  Verunsicherung. Die Behauptung der bloß erfundenen Gefahr gibt eine einfache Antwort und damit (scheinbare) Sicherheit.

Betroffen sind auch Menschen mit dem Gefühl eines Macht- und Kontrollverlusts. Beispiel: Weiße Amerikaner sagen, ihnen  schwimmen die Felle davon, die Schuldigen sind… Die Verschwörungstheorie liefert dann nicht nur eine Erklärung, sondern auch das Gefühl, Kontrolle zurückzugewinnen.

Und es gibt Sündenböcke, denen man die Schuld zuschiebt. Das entlastet einen selbst, befreit von eigener Verantwortung.  Beispiel: Wenn der Klimawandel uns nur vorgegaukelt wird, ist mein Inlandsflug oder die Fahrt mit dem SUV in Ordnung.

Und: Verschwörungstheorien sind gut fürs Selbstbild: Der Verschwörungstheoretiker hebt sich heraus aus der Masse. Er gehört zu einer kleinen Elite, die begriffen hat, was die breite Masse nicht sieht. Die anderen, das sind die Schlafschafe.

Warum werden die Gedanken verbreitet?

Vor allem aus Überzeugung, sagt Butter. Weil die Betroffenen glauben, der Wahrheit ans Licht verhelfen zu müssen. Es gibt aber auch kommerzielle Interessen. Butter nennt das Beispiel des US-Talkshow-Host Alex Jones. Der habe behauptet, Verschwörer mischten Stoffe ins Grundwasser, damit die Menschen nicht mehr klar denken können und daher Schlafschafe bleiben. Online gibt es dagegen bei Jones die Pillen „Gehirnkraft plus“ zu bestellen. Für 50 Dollar pro Monat.

Auch politisches Kalkül kann hinter dem Verbreiten stecken, wie bei Ungarns Regierungschef Viktor Orban. George Soros, amerikanischer Milliardär jüdischer Abstammung mit ungarischen Wurzeln ist der böse Strippenzieher im Hintergrund, den es zu bekämpfen gilt. Natürlich durch Orban.

Wer ist besonders empfänglich für Verschwörungstheorien?

Grundsätzlich alle. Aber die Neigung nimmt mit wachsendem Bildungsgrad ab. Männer sind leichter empfänglich als Frauen, Ältere mehr als Junge. Auch an den Rändern des politischen Spektrums (rechts wie links) rekrutieren Verschwörungstheoretiker ihre Follower.

Werden Verschwörungstheorien immer einflussreicher?

Michael Butter sagt: nein. Verschwörungstheorien gibt es seit Jahrhunderten. Das Internet und die dadurch erleichterte Verbreitung hat sie nur sichtbarer gemacht. Warum aber ist der Eindruck ein anderer? Butter: Weil das Thema in den Medien so präsent ist. Und weil seit Corona jeder in seinem Bekanntenkreis jemanden kennt, den er als Verschwörungstheoretiker bezeichnen würde. Früher thematisierte ein Bekannter trotz genereller Impfskepsis dieses Thema nicht offen, weil er nicht anecken wollte. Seit  Corona ist der Drang, sich zu positionieren, größer geworden - wegen  der persönlichen Betroffenheit (Coronaregeln, eventueller Verlust des Arbeitsplatzes).

Sind Verschwörungstheorien antisemitisch?

Butter sagt es so: Nicht alle Verschwörungstheorien sind antisemitisch, aber der moderne Antisemitismus kommt immer verschwörungstheoretisch daher. Der Experte kommt darauf zu sprechen, dass Demonstranten sich mit Opfern des Holocaust (gelbe Sterne mit dem Wort ungeimpft) gleichsetzten. Das sei fürchterlich, aber nicht per se antisemitisch. Es würde damit nicht Juden die Schuld gegeben. Sondern das eigene Leid unangemessen aufgewertet. Bezeichne man das pauschal als antisemitisch, so treibe man die Betroffenen erst recht in die Arme politisch Rechter, die die Proteste vereinnahmen wollten.

Sind alle Verschwörungstheorien gefährlich?

Nicht die harmlosen, wie etwa das Leugnen der Mondlandung. Wenn sie aber rassistisch sind und sich gegen Gruppen richten, die ohnehin schon stigmatisiert sind, können sie Katalysator für Gewaltausübung sein. Wie etwa der Angriff auf die Synagoge von Halle oder der Mord an dem  Tankwart in Idar-Oberstein durch einen sogenannten Querdenker.

Gefährlich können sie auch sein, wenn  medizinische Erkenntnisse geleugnet werden. Und so nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die von anderen gefährdet wird.

Eine Gefahr für die Demokratie können sie sein, weil sie Vertrauen in demokratische Prozesse nachhaltig beschädigen. Wer mit Blick auf die Entscheidungsträger sagt, „die stecken doch eh alle unter einer Decke“, zieht sich aus dem politischen Prozess zurück, wählt nicht. Oder gibt die Stimme selbst ernannten Problemlösern. Oder lässt sich aufhetzen. Beispiel: Trumps Vorwurf der Wahlfälschung und der dann folgende Sturm auf das Capitol. Oder der von Putin über eine Vielzahl von Verschwörungstheorien gerechtfertigte Überfall auf die Ukraine.

Was kann gegen Verschwörungstheorien helfen?

Medienkompetenz. Erklären, wie politische  Entscheidungsprozesse funktionieren.  Bildung, an Schulen, aber auch Erwachsenenbildung. Nicht nur über die Volkshochschule, die bloß die ohnehin Interessierten erreicht. Besser über Betriebe, Gewerkschaften. Und: Projekte fördern wie die Angebote für Familienangehörige von Verschwörungsgläubigen, die Veritas-Beratungsstellen.

Wie umgehen mit einem Verschwörungstheoretiker?

Mit  Fakten kommt man oft nicht weiter, sagt Butter. Besser sei es, das Gegenüber offen zu fragen, warum es bestimmte Argumente abtut:  Warum akzeptierst du diese Quelle, warum weist du andere zurück? Im Gespräch bleiben.

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