Traum von der nationalen Einheit

Trotz Terrors lag die Beteiligung an der Parlamentswahl bei mehr als 50 Prozent. Die Menschen hoffen auf ein Ende der religiösen Konflikte.

Bagdad. "Wandel, Wandel", rufen die Anhänger der Al-Irakija-Liste. In den Straßen von Mossul und in einigen Sunniten-Vierteln von Bagdad feiern sie schon - etwas vorschnell - das gute Abschneiden des einzigen großen Wahlbündnisses, das sich der nationalen Einheit und der Abkehr vom religiösen Proporz verschrieben hat. "Der heutige Tag bedeutet für das irakische Volk das Ende einer siebenjährigen Phase des Leidens", erklärt Vizepräsident Tarik al-Haschimi, ein Sunnit, in Anspielung auf die US-Invasion im Frühjahr 2003.

"Wandel" bedeutet auch der Name der neuen irakischen Kurdenpartei Goran, die den etablierten kurdischen Parteien KDP und PUK schon bei den Wahlen zum Parlament der kurdischen Autonomieregion im vergangenen Jahr knapp 24 Prozent der Stimmen abgenommen hat.

Doch so richtig neu und unverbraucht sind auch diese Neuen nicht. Der Al-Irakija-Liste gehört Ex-Übergangsregierungschef Ijad Allawi an, dem man nachsagt, er habe während seiner Amtszeit eigenhändig Verdächtige in einer Polizeiwache erschossen. Außerdem sollen sich einige Mitglieder seines Kabinetts während seiner kurzen Regierungszeit (2004-2005) schamlos bereichert haben. Sein Verbündeter Al-Haschimi hat auch schon mehr als einmal die politische Farbe gewechselt. Und der Goran-Liste gehören vor allem frühere Mitglieder der Traditionspartei Patriotische Union Kurdistans (PUK) von Staatspräsident Dschalal Talabani an.

Dass es nach der Parlamentswahl von Sonntag in Bagdad wirklich zu einem radikalen Kurswechsel kommt, glauben ohnehin nur wenige Beobachter, auch wenn die Wahlbeteiligung mit 50 bis 65 Prozent sehr hoch war. Denn die zwei wichtigsten Koordinaten der irakischen Politik bleiben unverändert: Die Schiiten bilden mit 60 Prozent die Bevölkerungsmehrheit. Da sie während der Ära von Präsident Saddam Hussein diskriminiert wurden, sind sie im Durchschnitt weniger gebildet als die muslimischen Sunniten und die Minderheit der Christen. Die Schiiten tendieren dazu, schiitische Parteien zu wählen, die - obgleich dies im Wahlkampf offiziell verboten war - mit religiösen Symbolen werben.

Läuft es diesmal so wie bei der vergangenen Parlamentswahl 2005, werden die amtierenden Minister noch eine Ehrenrunde drehen müssen. Denn nach der für Ende kommender Woche erwarteten Bekanntgabe der Wahlergebnisse dürfte es langwierige Koalitionsgespräche geben.

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