Handelsabkommen zwischen Europa und den USA Thilo Bode ist gegen TTIP

Verbraucherschützer Thilo Bode lehnt das transatlantische Handelsabkommen ab, weil es Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt abschafft. Private Schiedsgerichte hält er für eine gefährliche Paralleljustiz.

Herr Bode, TTIP-Befürworter sprechen von mehr Jobs, mehr Flexibilität und mehr Wohlstand. Trifft das zu?

Thilo Bode: Womöglich, vielleicht: ja. Aber ziemlich sicher werden die Effekte nicht besonders groß sein — und schon gar nicht so groß, wie der BDI und viele andere TTIP-Befürworter das dargestellt haben und teilweise heute noch tun. Selbst die optimistischsten Prognosen in den zum Teil wackelig angelegten Studien sind äußerst mau. Von den TTIP-Fans wurden sie um den Faktor 10 zu groß und darüber hinaus als gesicherte Erkenntnis präsentiert. Das zeigt, wie unaufrichtig hier debattiert wird. Fest steht: Ein Jobwunder sagt keine der Studien voraus, auch unter den günstigsten Annahmen.

Wie beurteilen Sie die privaten Schiedsgerichte im Rahmen von TTIP?

Bode: Sie sind eine Paralleljustiz, die rechtsstaatliche Verfahren in Europa und in den USA unterlaufen kann. Das ist schon heute so, zum Beispiel im Energiesektor, wo Schiedsklagen schon möglich sind. Vattenfall verklagt die Bundesrepublik auf 4,7 Milliarden Euro Schadenersatz wegen des Atomausstiegs. Parallel zu einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in dem der schwedische Konzern die Gesetzgebung zum Atomausstieg für verfassungswidrig erklären lassen will. Durchaus denkbar ist, dass die Verfassungsrichter sagen: Alles in Ordnung — und private Schiedsrichter in einem Verfahren hinter verschlossenen Türen dennoch beschließen, dass Deutschland Milliarden Steuergelder als Entschädigung an Vattenfall zu zahlen hat. Solche Fälle sind inakzeptabel. Private Schiedsgerichte darf es nicht geben. Aber auch ein TTIP ohne private Schiedsgerichte ist immer noch eine Gefahr für unsere Demokratie — mit fairem Freihandel, den ich sehr begrüße, hat dies nicht viel zu tun.

Bietet TTIP die Basis, um Regulierungen zum Schutz von Bürgern und Volkswirtschaften auszuhebeln?

Bode: Ja. Weniger, weil Gesetze durch TTIP abgeschafft werden. Aber zum Beispiel können Zulassungsbestimmungen für toxische Substanzen geändert und damit das Schutzniveau verringert werden. Vor allem aber wird das Abkommen dringend erforderliche Regulierung in der Zukunft erschweren oder sogar unmöglich machen. Denn in allen Bereichen, für die in TTIP Standards festgeschrieben werden, wird es nicht mehr möglich sein, diese einseitig zu verändern. Denn TTIP ist ein Bestandteil des Völkerrechts. Vereinfacht gesagt, steht das Abkommen damit über europäischen und deutschen Gesetzen. Mit anderen Worten: Wollen wir die europäischen Lebensmittelstandards verbessern, dann können wir dies nur noch TTIP-kompatibel tun. Für die Bereiche, die in dem Vertrag geregelt sind, ist eine Absprache mit den USA nötig. Wir sind also beim Setzen von Standards darauf angewiesen, dass unser Handelspartner zustimmt. Die Einschränkung des Gesetzgebungsspielraumes musste uns sogar das Kanzleramt bestätigen. Bei der regulatorischen Kooperation kann es sogar dazu kommen, dass Regulierung zwischen den Exekutiven abgesprochen wird, ohne Beteiligung der Parlamente. Das dürfen wir nicht zulassen.

Ist TTIP notwendig, weil die USA mit Ländern im asiatischen Raum ein ähnliches Abkommen planen, die Transpazifische Partnerschaft (TTP)?

Bode: Nein, dieses Argument ist eine Nebelkerze. TTP ist ein weitgehend klassisches Freihandelsabkommen, in dem es um den Abbau von Zöllen geht - um Dinge, die bei TTIP eher die Nebenrolle spielen. Das transatlantische Abkommen ist etwas völlig neues, weil hier die regulatorische Zusammenarbeit zweier Handelspartner im Vordergrund steht. Das ist, wie wenn wir den europäischen Binnenmarkt eingeführt hätten, aber ohne demokratische Prozesse zur Gesetzgebung in der EU zu etablieren. Bei TTIP soll gemeinsam reguliert werden, aber die Parlamente sollen fast nichts mehr zu sagen haben — entscheiden würden Behörden und Regierungen unter wesentlichem Lobbyeinfluss der internationalen Konzerne. Dabei kann nichts Gutes herauskommen. Falsch ist auch das Argument, dass wir TTIP brauchen, weil sonst andere — vor allem die aufstrebenden asiatischen Länder — die Standards setzen würden. Aber wer zwingt uns in Europa denn, chinesische Lebensmittelstandards zu übernehmen? Nein, über unsere Standards wollen und müssen wir schon selbst entscheiden — und zwar in transparenten, demokratischen Verfahren.

Was geschieht, wenn TTIP scheitert?

Bode: Das wäre gut für die Demokratie und gut für die Verbraucher. Für die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Blinkerfarben brauchen wir ohnehin kein vertragliches Ungetüm wie TTIP. Diese technischen Handelshemmnisse können wir ohne weiteres aus dem Weg räumen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort