Rechtsextremismus-Forscher im Interview Täter von Hanau durch „paranoiden Rassismus“ angetrieben

Berlin · Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke spricht im Interview darüber, warum ihn die Tat von Hanau nicht überrascht, über Björn Höcke und über zu lange ignorierte rechte Netzwerke in Deutschland.

 „Es hat sich in den letzten Jahren eine neue Qualität der Gewaltbereitschaft abgezeichnet“, meint der Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke.

„Es hat sich in den letzten Jahren eine neue Qualität der Gewaltbereitschaft abgezeichnet“, meint der Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke.

Foto: picture alliance / dpa/Stephanie Pilick

Nach Ansicht des Rechtsextremismus-Forschers Hajo Funke ist der Täter von Hanau durch „paranoiden Rassismus“ angetrieben worden. Das Phänomen nehme zu, so Funke im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Funke, hat Sie die Wahnsinnstat von Hanau überrascht?

Hajo Funke: Nicht wirklich. Seit einigen Jahren erleben wir eine Zunahme von brutalen Taten. Wir haben das beim Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke gesehen genauso wie in Halle. Die Motive sind ähnlich, die Integration in die rassistischen Netzwerke ist allerdings unterschiedlich. Der Täter von Halle war über das Internet vernetzt, so wie vermutlich der von Hanau. Im Fall Lübcke war der Todesschütze Bestandteil der Kasseler Szene.

Was treibt die Täter an?

Funke: Das verbreiten sie meist genau via Internet. Es ist paranoider Rassismus, ein anwachsendes Phänomen. Wir kennen es in ähnlichen Formulierungen auch von Björn Höcke. Ich meine damit zum Beispiel Höckes Appell für eine Politik wohltemperierter Grausamkeit. Grausamkeit ist Sadismus, im Zweifel mörderischer. So schafft man das Milieu, die Bereitschaft, die Atmosphäre, man sorgt für die Entfesselung von Ressentiments. Deswegen geht es überhaupt nicht, wenn man mit Antidemokraten, die auch noch rassistisch agieren, gemeinsame Sache macht. So wie in Thüringen.

Gibt es bereits ein rechtes Terrornetzwerk in Deutschland?

Funke: Nein. Es gibt freilich bestehende Netzwerke, die man terroraffin nennt. Dagegen ist zu lange zu wenig von Seiten der Behörden unternommen worden. Ob Zufall oder nicht, in Hessen passiert mehr als in anderen Bundesländern.

Die Schwelle zur tödlichen Gewalt sinkt also?

Funke: Eindeutig. Es hat sich in den letzten Jahren eine neue Qualität der Gewaltbereitschaft abgezeichnet. Vorläufiger Höhepunkt waren der Mord an Lübcke und das Attentat von Halle. Inzwischen haben die Sicherheitsbehörden ihr Vorgehen geändert. Es kommt immer öfter zu verschärften, präventiven Reaktionen. Wir dürfen nicht vergessen: Über Jahrzehnte bis weit in die Aufarbeitungsversuche des NSU ist vom BKA und dem Verfassungsschutz eher verdrängt worden, was von Rechts kommt. Auch von Politikern.

Rechnen Sie mit weiteren Taten?

Funke: Ausschließen kann man das nicht. Aber: Die Sicherheitsbehörden machen was, sie haben die Taktik geändert. Auch die Bundesanwaltschaft. Die Strategieveränderungen müssen weiter umgesetzt werden. Denn es gibt immer noch jede Menge Schwächen.

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