Generation Stress Studenten sind häufiger gestresst als Erwerbstätige

Expertin sieht eine Vielzahl von Ursachen dafür, dass die Zeit an der Hochschule längst nicht mehr so unbeschwert ist wie früher einmal. Nachfrage nach psychologischer Beratung steigt.

Generation Stress: Studenten sind häufiger gestresst als Erwerbstätige
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Düsseldorf. Deutschlands Akademikernachwuchs geht es schlecht: Zwar studieren so viele Menschen wie noch nie, aber sie sind auch so gestresst wie nie. An der Spitze liegt Nordrhein-Westfalen. Entsprechend hoch ist die Nachfrage nach psychologischer Beratung. Auch Angelika Wuttke, die seit 28 Jahren hier aktiv ist, weiß darum. Die Diplom-Psychologin an der Heinrich-Heine-Universität setzt vor allem auf Prävention: „Wir müssen den Knoten entwirren, bevor er unlösbar erscheint.“

Generation Stress: Fast 32 000 Studierende haben sich 2015 in Einzelgesprächen beraten lassen (2011 waren es noch 26 000) — ein Anstieg um fast 25 Prozent, berichtet das Deutsche Studentenwerk. Vor allem Frauen und ältere Semester lassen sich beraten, Männer holen aber auf. In Düsseldorf beispielsweise suchen Studierende der Jura- und Medizin-Studiengänge einerseits, sowie die der philosophischen Fakultät andererseits häufiger Rat. Erstere, weil hier der Druck besonders hoch ist. Letztere, weil die Selbstreflexion zum Studium gehört.

Eine Studie zum Thema Studierendenstress mit 18 000 Teilnehmern hatte im vergangenen Jahr zum Ergebnis, dass 53 Prozent der Studierenden ein hohes Stresslevel angeben. Die Folgen: Sie leiden unter Schlafproblemen, haben Schwierigkeiten bei der Konzentration, sind lustlos. Manche suche Hilfe in Drogen, Tabletten, Aufputschmitteln oder Alkohol. Zunehmend suchen sie professionellen Rat. Jungen Menschen fällt es leichter zuzugeben, dass sie (psychologische) Hilfe brauchen.

Angelika Wuttke bietet ihnen an der Heinrich-Heine-Uni in Düsseldorf eine fokussierte Kurzzeitberatung: „Wir beschreiben das Problem, versuchen herauszufinden, warum es hakt, wo man selbst ansetzen kann. Das ist wie mit einem Deckel, der querliegt, und wir wissen nicht warum. Wir müssen den Topf finden, auf den er passt, dann können wir ihn wegräumen.“

Die Beratungsthemen und die dahinter verborgenen Sinnkrisen sind immer wieder die gleichen: Aufschieberitis, Prüfungsangst, Probleme beim Zeitmanagement, Lern- und Schreibblockaden, falsche Studienwahl. Für die Probleme und Unsicherheiten von jungen Erwachsenen um die 25 hat sich der Begriff „Quarterlifecrisis“ etabliert: Studierende um die 25, die fast fertig sind, nicht wissen, wie es weitergehen soll. Ob das absolvierte Studium das richtige war. Hinzu kommen finanzielle Sorgen und Zukunftsangst. Die Sorge, sich von einem Praktikum ins nächste, von einem Zeitvertrag in den nächsten zu hangeln, lähmt. Viele junge Menschen haben ein hohes Defizitbewusstsein und einen geringen Selbstwert, wenden die eigene Energie gegen sich selbst. Der traditionelle gesellschaftliche Vorwurf, Studierende hätten ein faules Leben, verstärkt durch die Bologna-Reform, wirkt verheerend. Wuttke: „Sie müssen sich dauernd rechtfertigen, dass sie etwas tun. Ihnen fehlt die gesellschaftliche Anerkennung. Dabei legt die Regelstudienzeit eigentlich eine Mindest-, keine Höchstzeit fest.“

Studierende sind heute behüteter, weniger stressresistent, wohnen oft zuhause, werden gar von ihren (Helikopter-)Eltern an die Uni begleitet. „Da das selbstständige Organisieren des Studiums zum Erwachsensein gehört, finden wir das nicht gut und bieten deshalb Elternvorträge und -workshops an“, begrüßt Angelika Wuttke das „berechtigte Interesse der Eltern an Studium und Uni-Leben“.

Durch das G-8-Abitur sind die Studierenden nicht nur jünger, sondern auch enger geführt. Wer aus der Schulzeit gewohnt ist, in stark geregelten, endlichen Einheiten zu lernen, ist schnell überfordert, wenn das zu Erlernende grenzenlos erscheint. Da sind Mut und Selbstständigkeit gefragt: Wer zum Beispiel gewohnt ist, seinen Alltag selbst zu organisieren, hat bessere Karten als derjenige, der im „Hotel Mama“ bedient wird. Die Psychologin verdeutlicht das am Trend zum „All-inklusive-Urlaub“: „Dabei könnten die jungen Menschen mehr erleben, Spaß haben, andere Leute kennenlernen, wenn sie einfach loszögen.“ Eltern sollten sie darin bestärken.

Die digitalen Herausforderungen sieht Angelika Wuttke dagegen zweischneidig. Zwar könne mit Facebook und Co besser gemeinsam gelernt werden, aber die ständigen Reize von außen lenken ab und fördern so die Aufschieberitis. Mitunter wächst auch der Druck, wenn man feststellt, dass der Kommilitone nachts um 1.30 Uhr noch in die Whatsapp-Gruppe geschrieben und damit gezeigt hat, dass er immer noch lernt. Die Generation Smartphone kann schlecht abschalten.

Angelika Wuttke stellt dem ein grundsätzlich anderes Verständnis entgegen: Das Studium sei wie ein Kaufmannsladen mit Wissensangeboten, die umsonst zu haben seien. Sie appelliert: „Ich sage dann, suchen Sie sich die Skills aus, von denen Sie denken, dass sie Ihnen auf Ihrem Weg helfen.“ Viele Studierenden dächten aber nur daran, welche Prüfung sie noch machen müssten: „Schade, dass bei vielen die Freude am Lernen verloren gegangen ist.“

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