Sigmar Gabriels Blick zurück im Zorn

Das Scheitern hat Krach in der Koalition ausgelöst. Der Umweltminister wirft der CSU „Volksverdummung“ vor und zeigt sich von Kanzlerin Merkel enttäuscht.

Berlin. Sigmar Gabriel machte keinen Hehl daraus, wie viel Überwindung ihn die Dienstreise nach München gekostet hatte. Auf Bitten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war der Umweltminister zum bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) gereist, um für eine Zustimmung zum geplanten Umweltgesetzbuch zu werben.

Zwar liege ihm die Rolle des Bittstellers nicht, sagte der SPD-Minister nun, aber er sei ja kompromissbereit gewesen - im Gegensatz zum "Kollegen Seehofer", wie Gabriel den CSU-Chef nannte. Nach einem "angenehmen Gespräch" kam es zum Eklat: Nun ist das Umweltgesetzbuch, ein wichtiges Projekt der Großen Koalition, vorerst gescheitert.

Die Suche nach Schuldigen für das missglückte Gesetzesvorhaben entwickelte sich am Montag zu einem handfesten Koalitionskrach. Seehofer wies Gabriel die alleinige Verantwortung zu; im Gegenzug warf Gabriel dem "Kollegen Seehofer" vor, dieser fordere allein aus Wahltaktik "kompletten Unfug". Regierungschefin Merkel habe durch Untätigkeit zum Koalitionschaos beigetragen, schimpfte Gabriel. In der CDU gebe es niemanden, "der für Ordnung sorgt".

In der Sache geht es um ein Projekt, das CDU, CSU und SPD fest im Koalitionsvertrag 2005 vereinbart hatten. Mit dem Umweltgesetzbuch sollten eigentlich die zersplitterten deutschen Umweltgesetze und -verordnungen gebündelt werden.

Das Kernziel war ein einfacheres und schnelleres Genehmigungsverfahren für den Bau von Industrieanlagen und Kraftwerken: Für die Zulassung eines Kraftwerks, das Abwasser in ein Gewässer leitet, sollte zum Beispiel eine einzige Genehmigung ausreichen. Bisher müssen Unternehmen oft mehrere Zulassungen einholen.

Doch in der Union gab es die Befürchtung, dass künftig weit mehr Anlagen als bisher dem neuen Genehmigungsverfahren unterworfen würden - etwa Biogasanlagen, Tierhaltungen oder Fischzuchtanlagen. Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) warnte, allein in Bayern würden künftig 10000 Anlagen genehmigungspflichtig - zehnmal so viele wie bisher.

Gabriel nannte diese Rechnung "Volksverdummung". Söder durchdringe die Thematik allenfalls "im Nanobereich", spottete der SPD-Politiker. Die Zahl der Genehmigungen würde zwar mit dem neuen Umweltgesetzbuch nominell steigen, aber nur, weil bisherige "Erlaubnisse" im Rechtsdeutsch in "Genehmigungen" umbenannt würden. Während Söder von einer "Monsterbürokratie" sprach, sagte Gabriel, sein Entwurf spare der Wirtschaft fast 30 Millionen Euro.

Auch in NRW geht der Riss quer durch die Koalition: Während Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) das Aus für das Gesetzesvorhaben bedauerte, begrüßte es Innenminister Ingo Wolf (FDP). "Das Umweltgesetzbuch hätte für die Wirtschaft Erleichterungen bewirkt", sagte Uhlenberg. Wolf geht vom Gegenteil aus. Er sah in den "komplizierten Rechtsregelungen (...) eine unverantwortliche Gängelung von Kommunen und Unternehmen".

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sieht jedenfalls "keine Chance", in dieser Legislaturperiode noch zu einem Umweltgesetzbuch zu kommen. Nun will Gabriel zumindest Teile der von ihm geplanten Änderungen durchbringen, indem er Einzelgesetze etwa zum Wasser- und Naturschutzrecht vereinbart.

Eigentlich hätte Angela Merkel viel an der Verabschiedung desUmweltgesetzbuches liegen müssen. Sie selbst war es, die alsUmweltministerin dieses Projekt auf den Weg gebracht hatte. Zwölf Jahreist das her. Doch die Kanzlerin griff nicht ein. Nun sind zwölf JahreArbeit also dahin - geopfert auf dem Altar des Wahlkampfes.

Umweltminister Sigmar Gabriel, der sich nun als Verteidiger desUmweltschutzes geriert, ist daran auch nicht ganz unschuldig. Läge ihmtatsächlich so viel an diesem Gesetz, hätte er es nicht erst im Jahrder Bundestagswahl auf die Agenda gesetzt. Dass es nun gescheitert ist,ist gleichwohl ein herber Schlag. Ab 2010 ermöglicht dieFöderalismusreform den Ländern, von Bundesgesetzen im Wasser- undNaturschutzrecht abzuweichen.

Die Gefahr eines Wettbewerbszwischen den Ländern, mit geringen naturschutzrechtlichen VorgabenUnternehmen anzulocken, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch für dieFirmen wäre das kein Vorteil: Sie müssten sich in jedem Bundesland aufandere Regelungen einstellen.

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