Interview mit Sevim Dagdelen zur türkischen Offensive „Die Öffentlichkeit wird hinter das Licht geführt“

Berlin · Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen spricht im Interview über die türkische Offensive in Syrien, das Verhalten der Nato und warum die Bundesregierung in ihrem Verhalten nicht ehrlich ist.

 Ein Arbeiter baut ein Zelt in einem Flüchtlingslager nördlich von Mossul auf. Das Lager wurde wieder aufgebaut, um einige hundert syrische Flüchtlinge aufzunehmen, die durch die türkische Militäroffensive in Nordsyrien vertrieben wurden.

Ein Arbeiter baut ein Zelt in einem Flüchtlingslager nördlich von Mossul auf. Das Lager wurde wieder aufgebaut, um einige hundert syrische Flüchtlinge aufzunehmen, die durch die türkische Militäroffensive in Nordsyrien vertrieben wurden.

Foto: dpa/Hussein Malla

Die Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe des Bundestages, Sevim Dagdelen (Linke), traut der Ankündigung von Außenminister Heiko Maas (SPD) nicht, der Türkei keine Waffen mehr liefern zu wollen. Jegliche Unterstützung müsse beendet werden, so Dagdelen im Gespräch mit unserer Redaktion.

Frau Dagdelen, Erdogan lehnt eine Waffenruhe in Nordsyrien kategorisch ab. Was nun?

Sevim Dagdelen: Bundesregierung, Europäische Union und Nato müssen jetzt jegliche Unterstützung für Erdogan beenden. Bis heute gibt es keine Dringlichkeitssitzung der Nato, um den Einmarsch in Nordsyrien als völkerrechtswidrige Invasion zu verurteilen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat sich stattdessen an die Seite der Türkei gestellt. So ermutigt man Erdogan, weiterzumachen. Ich nenne das Kumpanei.

Erdogan droht damit, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen. Ist deshalb Vorsicht geboten?

Sevim Dagdelen: Die Drohung ist zynisch, weil Erdogan laut UN dabei ist, 200.000 Menschen in Syrien in die Flucht zu treiben. Der Flüchtlingsdeal ist nicht alternativlos. Im eigenen Interesse müssen Deutschland und Europa Perspektiven in Syrien schaffen, damit die Menschen aus anderen Regionen nicht weiter fliehen. Dazu gehört, die Wirtschaftssanktionen aufzuheben und diplomatische Beziehungen mit Damaskus wieder aufzunehmen. Das ist die einzige Möglichkeit, der leidenden Bevölkerung zu helfen.

Damit rehabilitieren Sie aber auch den Diktator und Kriegsverbrecher Assad.

Dagdelen: Nein. Diplomatische Beziehungen sind im internationalen Staatenverbund eine Errungenschaft, wir unterhalten sie selbst mit Saudi-Arabien. Das bedeutet doch aber nicht, dass wir dem Kriegsverbrecher und Diktator Mohammed bin Salman huldigen. Diplomatische Beziehungen sind auch aus humanitären Gründen richtig. Aktuell kann zum Beispiel mangels konsularischer Zugänge vielen Deutschen in Syrien nicht geholfen werden.

Könnten wirtschaftliche Sanktionen Erdogan stoppen?

Dagdelen: Wir brauchen harte Maßnahmen gegen Erdogan. Dazu gehört vor allem ein umfassendes Waffenembargo. Es ist skandalös, dass die Bundesregierung die Öffentlichkeit in dieser Frage hinter das Licht führt.

 Sevim Dagdelen ist Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe des Bundestages.

Sevim Dagdelen ist Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe des Bundestages.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Was meinen Sie konkret? Außenminister Maas hat angekündigt, Deutschland werde keine Waffen mehr an Ankara liefern.

Dagdelen: Es ist richtig, die EU hat die Mitgliedsstaaten aufgerufen, nationale Schritte diesbezüglich einzuleiten. Aber laut vertraulicher Unterlagen soll die Bundesregierung auf EU-Ebene ein umfassendes Waffenembargo verhindert haben.

Wie bewerten Sie dann die Kritik von Erdogan an Heiko Maas?

Dagdelen: Die Kritik ist doch lahm, auch wenn Erdogan jetzt persönlich ausfallend wird. Fraglich ist zudem, ob die Ankündigung von Heiko Maas tatsächlich in der Regierung abgestimmt gewesen ist. Ich habe da nach der Sitzung des Wirtschaftsausschusses meine Zweifel.

Was halten Sie davon, die Türkei von der Qualifikation zur Fußall-Europameisterschaft auszuschließen?

Dagdelen: Das Hurra auf dem Rasen zum Angriffskrieg verletzt massiv die UEFA-Prinzipien. Wer meint, das Spielfeld für Kriegspropaganda nutzen zu müssen, disqualifiziert sich selbst für die EM. Wir werden sehen, ob die UEFA Rückgrat beweist.

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