Interview Schäfer-Gümbel zur Grünen-Kritik: „Ich habe unpräzise formuliert“

Düsseldorf. · Der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel spricht im Interview über seine Grünen-Kritik, die künftige Führung der Partei und neue Vermögensbesteuerung.

 Der kommissarische SPD-Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel mit seinen Kolleginnen in der Führung: Malu Dreyer (r.) und Manuela Schwesig.

Der kommissarische SPD-Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel mit seinen Kolleginnen in der Führung: Malu Dreyer (r.) und Manuela Schwesig.

Foto: dpa/Carsten Koall

Thorsten Schäfer-Gümbel, neben Malu Dreyer und Manuela Schwesig kommissarischer SPD-Vorsitzender, ist am Dienstag in der NRW-Landtagfraktion zu Gast gewesen, um über den weiteren Fahrplan bei der Neuaufstellung der Sozialdemokratie zu sprechen und die Fraktion hinter dem Kurs zu versammeln. PD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte, das Treffen habe Mut gemacht und gezeigt: „Da ist Führung in der Sozialdemokratie in Deutschland.“ Am Rande des NRW-Besuchs trafen wir Schäfer-Gümbel zum Gespräch.

Herr Schäfer-Gümbel, am kommenden Montag werden Sie im Parteivorstand über den Fahrplan in die Zukunft der SPD sprechen. Geht es dabei nur um Führungsfragen oder auch um Inhalte?

Thorsten Schäfer-Gümbel: Wir werden sprechen über die Parteiführung, die Halbzeitbilanz der großen Koalition, aber auch über inhaltliche Fragen. Und natürlich über das Verfahren einer Neuaufstellung und über den Termin des Parteitags.

Könnte die Suche nach einer neuen Spitze ähnlich ablaufen wie zuletzt bei der CDU?

Schäfer-Gümbel: Wir werden sicherlich unsere Mitglieder stärker beteiligen als die CDU, die ein paar Regionalkonferenzen gemacht hat. Das ist bei 440 000 Mitgliedern natürlich aufwändig. Aber ich glaube, dass es klug ist, es so zu tun. Und für uns auch eine eine große Chance, in der Fläche über unsere Themen zu informieren. Am Ende wird auch bei uns der Parteitag entscheiden, weil das Parteiengesetz gar keine andere Möglichkeit lässt.

Sie haben sich bisher eher verhalten zur Idee einer Doppelspitze für die SPD geäußert. Wieso?

Schäfer-Gümbel: Eine Doppelspitze ist eine gute Idee, wenn man zwei findet, die gut harmonieren. Sonst nicht. Aber für mich sind generell Strukturen nur Handwerksfragen. Das Vorstandsmodell ist keine Antwort auf die Zukunftsfragen: Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche in Bildung, Arbeit, Sozialstaat fordert neue Antworten, wenn wir eine bessere Welt wollen. Wie soll Zusammenhalt funktionieren in einer digitalen Welt? Was ist mit der ökologischen Frage, mit zunehmenden Ungleichheiten? Wie machen wir aus technologischem Fortschritt sozialen Wohlstand? Und wenn wir etwas können als SPD, dann ist es genau das. Da wünsche ich uns mehr Zutrauen. Dafür wurde diese Partei gegründet. Damals war es die Dampfmaschine und der mechanische Webstuhl. Und die Antwort war der Acht-Stunden-Tag. Die Digitalisierung ruft die selben Fragen auf.

Woran liegt es, dass Sie diese Antworten seit vielen Monaten suchen, aber das nicht adäquat beim Wähler anbringen?

Schäfer-Gümbel: Weil unsere Antworten zu oft auf der Ebene von einzelnen Sachthemen bleiben. Aber auch daran, dass das Grundsatzprogramm der SPD aus dem Jahr 2007 ist – vor der Lehman-Pleite und vor der Verbreitung des Smartphones, fast schon aus einer anderen Welt.

Also ist es Zeit für ein neues Grundsatzprogramm?

Schäfer-Gümbel: Ich bin davon überzeugt – entscheiden muss aber der Parteitag in diesem Jahr. Ein Beispiel: Digitalisierung ist mehr als Netzpolitik und Breitbandausbau. Damit ignoriert man alles dazwischen, die Herausforderungen der Gesellschaftspolitik, eben die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Und über Twitter und Ähnliches haben wir eine massive Debattenbeschleunigung. Demokratische Politik ist aber nun einmal langsam. Und zwar auch aus guten Gründen, weil es die Chance bietet nachzudenken. Und man Entscheidungen auch zurückholen kann. Im digitalen Orbit geht das nicht. Raus ist raus.

Glauben Sie, dass man das zum Beispiel einem Youtuber wie Rezo vermitteln kann? Dass Demokratie kompliziert und zeitaufwändig ist und vielleicht auch mal gut sein kann, wenn Prozesse dauern?

Schäfer-Gümbel: Ich glaube ja. Man muss nur aufeinander zugehen und miteinander reden. Das ist ein Auftrag an beide Seiten. Mir geht hier ja auch manchmal alles viel zu langsam. Und ja, in China geht viel mehr und viel auch schneller – aber um welchen Preis denn? Das muss man dann eben auch erklären: Eigentumsrechte und Freiheitsrechte gelten dort nicht.

Derzeit dominiert allerdings allein der Öko-Boom die politischen Themen. Stört Sie das?

Schäfer-Gümbel: Überhaupt nicht. Ich habe in der SPD selbst mit Umweltpolitik angefangen.

Trotzdem haben Sie den Grünen jüngst vorgeworfen, sich einseitig und populistisch auf den Klimawandel zu fokussieren. Für die Äußerung haben sie viel Kritik einstecken müssen.

Schäfer-Gümbel: Niemand hat sich mehr geärgert als ich selbst, weil ich unpräzise formuliert habe. Damit habe ich anderen den Ball selbst auf den Elfmeterpunkt gelegt. Was ich aber sagen möchte, ist, dass wir als SPD einen anderen und breiteren Zugang zu Gesellschaftspolitik haben.

Sie würden die Grünen also nicht als öko-populistisch bezeichnen?

Schäfer-Gümbel: Ich habe diese Formulierung nicht gewählt und ich würde diese Formulierung nicht wählen.

Haben Sie Sorgen, es sich mit möglichen zukünftigen Partnern zu verbauen?

Schäfer-Gümbel: Nein, darum geht es auch nicht. Im Übrigen: Ich persönlich verbaue es mir mit niemanden, denn ich beginne eine neue Aufgabe im Oktober.

Sicher? Sie treten in jedem Fall ihre neue Stelle bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an und kommen so nicht mehr in Frage?

Schäfer-Gümbel: Sicher! Ich habe die Angewohnheit, Vertrauen, das mir geschenkt wird, nicht zu verlieren.

Welche Rolle spielt im Findungsprozess der Sozialdemokratie für Sie die NRW-SPD?

Schäfer-Gümbel: Auf NRW schaut immer die gesamte Partei. Es ist der mit Abstand größte Landesverband.

Für die Koaltionsarbeit im Bund gab es aus NRW aber in der Vergangenheit immer wieder Kritik. Von der aktuellen Landesparteiführung, die einen deutlich linken Kurs einschlägt. Aber auch etwa vom ehemaligen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, was das Thema Steuern anbelangt. Da sieht die Groko-Bilanz mager aus.

Schäfer-Gümbel: Ich selbst habe mit Olaf Scholz, aber auch in engster Abstimmung mit Norbert Walter-Borjans ein Steuerkonzept vor der Bundestagswahl vorgelegt, das vorsah: Abschaffung des Soli, ihn aber für die obersten zehn Prozent in den Einkommenssteuertarif einarbeiten. Das war mit der Union nicht zu machen, weil die alles, was als Steuererhöhung interpretiert werden kann, kategorisch ablehnen. Immerhin schaffen wir jetzt den Soli für 90 Prozent ab, nur die zehn Prozent mit den höchsten Einkommen zahlen ihn weiter. Aber wir müssen noch mal ran an die Vermögensbesteuerung. Da wird es im September einen Vorstoß von uns geben. Und ich prophezeie, dass das in naher Zukunft kommen wird. Das ist überfällig.

Dass es bei diesen Themen keinen Durchbruch gibt, könnte in die Halbzeitbilanz der Groko einfließen. Und vielleicht dazu führen, dass die Koalition nicht hält. Ist es überhaupt unter demokratischen Gesichtspunkten richtig, die eingegangene Verpflichtung nach der Hälfte der Strecke zu überprüfen mit der Option zu gehen?

Schäfer-Gümbel: Ich bin Oppositionsführer im hessischen Landtag. Es ist meine dauernde Aufgabe, Regierungshandeln zu hinterfragen. Wenn eine Regierung das nun selbst tut, ist das ein Mehr an Demokratie. Natürlich werden Verträge gemacht, sie einzuhalten. Aber in diesem Fall haben die Partner sich am Anfang darauf verständigt, nach der Halbzeit Bilanz zu ziehen.

Glauben Sie, dass die große Koalition in Berlin noch eine Chance hat auf Erfüllung der Legislatur?

Schäfer-Gümbel: Auch darüber sprechen wir auf unserem Parteitag. Ich glaube, dass sie besser ist als ihr Ruf. Aber sie hat enormen Ansehensverlust erlitten. Jetzt müssen die Partner sich fragen, ob und was sie tun wollen, um Ansehen zurückzuerlangen.

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