Rücktrittsgesuch von Glos: Chaos in der CSU, große Koalition in der Krise

Von Merkel und Seehofer enttäuschter Glos wählt Alleingang. Die Bundeskanzlerin steht unter Handlungsdruck. Erste Namen von Nachfolgekandidaten werden genannt.

München. Michael Glos hat all seinepolitischen Wegbegleiter kalt erwischt, vor allem aber BundeskanzlerinAngela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer. Der Mann, der seit 20 Jahrendie CSU so stark prägte wie nur wenige, wollte im Alleingang aus derPolitik aussteigen.

„Nicht mal sein engstes Umfeld wusste Bescheid“,sagt einer aus der CSU-Spitze über das Rücktrittsangebot desBundeswirtschaftsministers. Dass Seehofer dieses vorerst ausschlug,macht das Chaos nicht kleiner. Inmitten der Wirtschaftskrise will derWirtschaftsminister hinschmeißen - die große Koalition hat ein Problem.

Seehofer selbst sagte erst vor wenigen Tagen, dass Politiker nie Fragenzu ihrem Karriereende beantworten dürfen. „Wer auf so eine Frageantwortet, ist eine Lame Duck“, sagte er und benutzte dabei das Bildder lahmen Ente, das in den USA einen Politiker beschreibt, dessenAmtsende feststeht.

Glos hat sich nun aber an den Schreibtisch gesetztund einen Brief geschrieben, wonach er aus dem Kabinett ausscheidenwill. Sollte Seehofer bei seinem Nein bleiben und Glos sich fügen,steht also eine lahme Ente an der Spitze des Ressorts - in einer Zeit,in der die Welt die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten droht.

Glos nennt als Grund für seinen Rücktrittswunsch, dass er im Dezember65 Jahre alt wird und deshalb nach dem 28. September keinem Kabinettmehr angehören will. Dies wäre als Begründung durchaus ehrenhaft. Aberhätte Glos nicht das Gespräch mit Seehofer suchen müssen, statt der„Bild am Sonntag“ seinen Brief zu geben?

Dann hätte sein Parteichef dieGelegenheit gehabt, souverän einen Nachfolger zu präsentieren - so sahSeehofer am Samstagnachmittag beim Verlassen der MünchnerSicherheitskonferenz wie der Gelackmeierte aus.

Tatsächlich hegt Glos schon seit längerem Groll gegen Seehofer. Dieserhatte ihn im Dezember vor versammelter Mannschaft wegen seines zupassiven Auftretens in der Wirtschaftskrise angegriffen. Außerdemstellte Seehofer bereits dem CSU-Schatzmeister und Bau-UnternehmerThomas Bauer das Ministerium von Glos für die Zeit nach derBundestagswahl in Aussicht. Im CSU-Vorstand vermuten mehrere in dieserDemontage den Hauptgrund für das Rücktrittsangebot.

Aber auch von Merkel ist der Unterfranke tief enttäuscht. Der von denGrünen als „Null-Bock-Minister“ kritisierte Glos fühle sich von derKanzlerin allein gelassen, sagt einer aus der CSU-Landesgruppe. Diessei bei den Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise so gewesen, wo sichBundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) profilieren konnte und Gloswie abgetaucht erschien.

Bei seinen Vorstößen etwa zu Steuersenkungenhabe sich Glos ebenfalls über mangelnde Unterstützung der Kanzlerinbeklagt. „Er wollte jetzt selbst einen Schlussstrich ziehen, umwenigstens dies noch souverän machen zu können“, beschreibt einer ausGlos' Umfeld das Vorgehen.

Während Glos am Samstagabend trotz des Rücktritts-Theaters entspanntauf dem Ball des Sports tanzte, begann für Merkel ein heißer Tanz mitder Opposition. FDP-Chef Guido Westerwelle warnte, in Zeiten, woMillionen Menschen um ihren Arbeitsplatz zittern, müsse in derWirtschaftspolitik die Handlungsfähigkeit hergestellt sein. „Ich glaubenicht, dass Merkel und Seehofer das lange aushalten können“, sagt einBerliner CSU-Präsidiumsmitglied.

Am Sonntag bot sich eine Lösung an: CSU-Schatzmeister und UnternehmerThomas Bauer sagte kurz nach einem Telefonat mit Seehofer, er könnesich einen Wechsel in die Bundespolitik bereits jetzt vorstellen. FürMerkel, die zu dem CSU-Chaos zunächst schwieg, könnte dies aber eineWahl zwischen Pest und Cholera werden: Entweder der unwillige Glosbleibt - oder sie muss dem in Berlin vollkommen unerfahrenen Bauer imWahljahr ein wichtiges Ressort anvertrauen.

Womöglich gibt es aucheinen Kompromiss: Auch Landesgruppenchef Peter Ramsauer undWirtschafts-Staatssekretärin Dagmar Wöhrl werden als Glos-Ersatzgenannt.

Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion,Carsten Schneider, hat sich unterdessen dafür ausgesprochen, dass FinanzministerPeer Steinbrück (SPD) das Finanz- und Wirtschaftsministerium umgehendin Personalunion übernehmen sollte.

"Bevor wir das Konjunkturpaketnächste Woche mit einem Wirtschaftsminister verabschieden, der keineLust mehr hat oder mit einem Nachfolger, der sich permanent profilierenmuss, sollte das Peer Steinbrück lieber vollends alleine machen. DerRegierungsfähigkeit der großen Koalition käme es nur zugute, wenn dasWirtschafts- und Finanzministerium in einer Hand wären", sagteSchneider der "Leipziger Volkszeitung"

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