Reden oder schweigen im Verhör? Polizeiliche Vernehmung: Ratschläge eines Strafverteidigers

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Strafverteidiger Udo Vetter erklärt die rechtlichen Regeln und rät: Ohne einen Anwalt sollte man bei der Polizei im Zweifel lieber nichts sagen.

 Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) befragt einen Verdächtigen.

Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) befragt einen Verdächtigen.

Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb/DB Bea Decker

Viele Menschen werden die Erfahrung nie in ihrem Leben machen. Und doch kann es jedem jeden Tag passieren – Sie finden sich auf einem Polizeirevier wieder und sollen entweder als Beschuldigter oder auch „nur“ als Zeuge aussagen. Wie verhält man sich dann. Welche Rechte, welche Pflichten gelten? Wir haben das mit dem Düsseldorfer Strafverteidiger Udo Vetter besprochen.

Herr Vetter, aus Fernsehkrimis kennen wir die Situation: Beschuldigte plaudern mal mehr, mal weniger mit der Polizei. Aber reden tun sie fast alle. Auch ohne Anwalt.

Udo Vetter: Die Fernsehkrimis vermitteln da einen falschen Eindruck. Da kommt der Herr Kommissar, und alle reden sofort. Das setzt sich in den Leuten fest. Im richtigen Leben sollte man sich von solchen Darstellungen nicht beeindrucken lassen.

Aber ist es nicht auch „im richtigen Leben“ so, dass kaum einer von seinem Schweigerecht Gebrauch macht?

Vetter: Das ist wohl so. Und es ist ja auch psychologisch nachvollziehbar. Der Mensch ist harmoniebedürftig, will nicht schroff Nein sagen. Und andererseits möchte er sich rechtfertigen. Deshalb sagt manch einer mehr, als er muss. Da ist die Option, zu schweigen, die psychologisch schwierigste.

Nun muss man aber erst mal wissen, dass man auch schweigen darf. In Krimis hört man ihn jedoch fast nie, den Satz des Kommissars: Sie müssen nicht aussagen.

Vetter: Die Krimis sind ganz schlecht, was die Darstellung der juristischen Realität darstellt. Aber man kann das auch verstehen. Wenn der Zuschauer den Satz des Polizisten hört, der Beschuldigte müsse nichts sagen, wundert er sich doch, dass dieser dann trotzdem losquatscht. Fernsehen lebt vom Sprechen und nicht vom Sich-Anschweigen. Wie sollte denn sonst die Handlung weitergehen?

Und wie ist sie denn nun, die Rechtslage im richtigen Leben? Muss man reden oder darf man schweigen? Und darf man auf der Hinzuziehung eines Anwalts bestehen?

Vetter: Zunächst mal zur Anwesenheit eines Anwalts: Es gibt eine EU-Richtlinie – und die ist seit Ende Mai unmittelbar geltendes Recht in Deutschland – wonach es nicht zulässig ist, mit der Bestellung eines Pflichtverteidigers zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Bisher war die deutsche Regelung so, dass im Ermittlungsverfahren eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers mit der Anklageerhebung erfolgte. Polizeiliche Vernehmungen haben da längst ohne Anwalt stattgefunden. Ein Großteil des Verfahrens ist da schon gelaufen.

Und das ist jetzt anders?

Vetter: Ja, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers muss bei Straftaten von erheblicher Bedeutung „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ erfolgen.  Das heißt: schon vor der Vernehmung eines Beschuldigten bei der Polizei.

Was ist eine schwerwiegende Straftat?

Vetter: Hier gilt die Faustregel: wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr droht, etwa bei gefährlicher Körperverletzung. Und darüber hinaus bei allen Verbrechen, also bei solchen Taten, die schon im Gesetz mit einer Strafe von mindestens einem Jahr bedroht sind.  Bagatell-Kriminalität, etwa Ladendiebstahl, einfache Körperverletzung oder Fahrerflucht fallen nicht unter diese Vorschrift. Hier kann eine Vernehmung auch weiterhin ohne (Pflicht-) Verteidiger stattfinden.

Und bislang war es so, dass die Polizei selbst beim Verdacht auf schwerwiegende Straftaten den Beschuldigten auch ohne Anwesenheit eines Anwalts vernehmen konnte?

Vetter: Ja, und damit komme ich zu Ihrer Frage nach dem Schweigerecht, ich kann da nur betonen: Egal, um welches Delikt es geht, der Beschuldigte muss niemals mit der Polizei reden, wenn er das nicht will. Ich kann aus meiner Praxis, aus Mandantengesprächen, sagen, dass die Polizei oftmals einen gegenteiligen Eindruck erweckt. Dass sie suggeriert, der Beschuldigte müsse was sagen. Das ist natürlich nicht so. Weder beim Verdacht auf schwere Taten, noch beim Verdacht auf Bagatell-Straftaten.

Muss die Polizei den Beschuldigten darauf hinweisen, dass er nichts sagen muss?

Vetter: Ja klar. Wenn sie das nicht macht und der Betroffene sagt aus, kann das später vor Gericht zu einem Verwertungsverbot der Aussage führen. Aber aus meiner fast 30-jährigen Praxis kann ich sagen: dass entsprechend von der Polizei aufgeklärt wurde, steht zwar immer schön im Protokoll. Aber passiert ist es eben häufig nicht. Ich glaube, dass in 50 Prozent der Fälle die Belehrung gar nicht oder unvollständig erfolgt.

Aber können Sie das als Anwalt dann später auch belegen?

Vetter: Ich hatte kürzlich einen Fall, da hatte ein Polizist „nach Belehrung“ ins Protokoll geschrieben, mein Mandant hatte mir aber was anderes gesagt. Da habe ich dann die Kollegen des Polizisten ins Gebet genommen, und eine junge Polizistin hat mir bestätigt, dass es keine Belehrung gegeben hatte. Zu beweisen ist das im Einzelfall freilich schwer.

Und was raten Sie?

Vetter: Wer einigermaßen klar im Kopf ist, sagt lieber erst mal gar nichts, ohne mit einem Anwalt gesprochen zu haben. Das predige ich immer. Mindestens 70 Prozent aller Verurteilungen durch die Gerichte würden nicht gelingen, wenn der Beschuldigte sich nicht in einem frühen Stadium um Kopf und Kragen geredet hätte.

Was sagen Sie aber denen, die beklagen, dass die schweigenden Täter dann ungeschoren davonkommen?

Vetter: Wer Rechtsstaat sagt, muss auch Rechtsstaat meinen. Dazu gehört das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Wir können den Rechtsstaat nicht nur in Festreden hoch leben lassen, sondern er muss auch praktiziert werden, wenn es darauf ankommt.

Und wenn einer im richtigen Leben sagt: Ohne Anwalt sage ich nichts? Wird er dann nicht von der Polizei mehr oder weniger freundlich in die Mangel genommen?

Vetter: Dann kommt häufig von der Polizei der scheinbar gut gemeinte Rat: Die Anwälte machen doch alles nur schlimmer. Karten auf den Tisch, das ist besser für Sie, und wir legen beim Staatsanwalt ein gutes Wort ein. Ich kann da nur sagen: Lieber nichts sagen. Nutzen Sie die Option, erst mal nichts zu machen.

Und wenn der Beschuldigte keinen Anwalt kennt?

Vetter: Ihm muss helfend zur Seite gestanden werden. Ihm müssen etwa Listen von Verteidigern, die bereit sind, Mandate zu übernehmen, zugänglich gemacht werden. Auf anwaltliche Notdienste muss hingewiesen werden. Das steht so ausdrücklich in § 136 Strafprozessordnung.

Wie verhält es sich, wenn man nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge aussagen soll?

Vetter: Es gibt seit dem vergangenen Jahr eine grundsätzliche Aussagepflicht von Zeugen, wenn die Staatsanwaltschaft die Polizei entsprechend beauftragt hat.

Und kann auch der Zeuge verlangen, dass er zunächst einen Anwalt sprechen will?

Vetter:  Es gilt zwar die Aussagepflicht. Aber auch hier kann man darauf bestehen, einen anwaltlichen Zeugenbeistand hinzuzuziehen. Dieses Recht ergibt sich aus dem § 68b der Strafprozessordnung. Und dann gibt es immer die Möglichkeit, dass man sich auf ein mögliches Auskunftsverweigerungsrecht beruft: wenn es nämlich möglich ist, dass man am Ende selbst als Beschuldigter dasteht. Weil man etwa als Tatbeteiligter in Frage kommt. Auch hier muss man dann nichts sagen.

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