Porträt: Herbert Grönemeyer - Der hartnäckige Weltverbesserer aus Bochum

Nach vier erfolglosen Alben feierte Herbert Grönemeyer 1984 seinen Durchbruch. Er wollte nie nur unterhalten.

Bochum. Das größte Phänomen an Herbert Grönemeyer ist immer noch, wie er überhaupt ein Phänomen werden konnte. Als er 1979 sein erstes, selbstbetiteltes Album veröffentlichte, blieb davon kein bleibender Eindruck - bis auf eine "Goldene Zitrone" für das hässlichste Cover des Jahres. Auch in den folgenden Jahren gab er sich alle Mühe, dem Bild, das man gemeinhin von einem Star hat, zu widersprechen:

Seine Bühnenauftritte erinnerten an entrückten Ausdruckstanz, seine Physiognomie war unförmig und seine Texte blieben meist unverstanden, weil er sie unter Schmerzen hervorzupressen schien. Mit militärischem Drill wurde dieser seltsame Sangesstil assoziiert, also genau dem Gegenteil von dem, wofür Grönemeyer mit seiner Musik, seinen Texten, seinem gesamten Schaffen steht: gewaltlose Verständigung.

Dass er letztlich doch noch den Weg in die Herzen der Deutschen fand, ist seiner Hartnäckigkeit zu verdanken. Weder von den Flops seiner Anfangszeit noch vom Rausschmiss bei seiner ersten Plattenfirma ließ Grönemeyer sich entmutigen.

Erst das fünfte Album, "Bochum", wurde schließlich ein Hit. Dann aber gleich so überlebensgroß, dass jede Platte, die folgte, Multi-Platin einfahren sollte. Ein schöner Beweis dafür, dass Qualität selten spontan Erfolg hat, sondern sich durchsetzen muss.

Den Mut, einen vierfach gescheiterten Musiker unter Vertrag zu nehmen, wie es die EMI 1984 mit Grönemeyer tat, hätte heutzutage allerdings sicher kein großes Label mehr.

Seine Beharrlichkeit, seine ehrliche Lust, das Publikum nicht nur unterhalten, sondern auch erziehen zu wollen, und natürlich sein konstanter Leistungswille sind Tugenden, die den Deutschen schon immer gut gefallen haben, obgleich sie auch den leicht humorlosen Charme des Weltverbesserers verströmten.

Allerdings waren seine Texte und seine kompositorischen Fähigkeiten zu virtuos, um ihm diese Verbissenheit übel nehmen zu können. Zumal er mit zunehmendem Alter eine entwaffenende Trockenheit entwickelte, vielleicht ein Nebeneffekt seiner Wahlheimat London, wo er seit 1998 lebt.

Der Mythos, zu dem er schließlich heranwuchs, ist etwas, auf das er gut hätte verzichten können. Nicht etwa, weil er uneitel wäre. Sondern weil der unumstößliche Sockel, auf den die Deutschen ihn hievten, im Endeffekt auf zwei erschütternde Schicksalsschläge zurückzuführen war. 1998 starben innerhalb von zwei Tagen sein älterer Bruder Wilhelm und seine Frau Anna. Grönemeyer verschwand, hielt seinen Schmerz privat.

Als er 2002 wieder auftauchte, mit dem Album "Mensch", das Musik gewordene Trauerbewältigung war, schaffte er es erstmals, nicht nur lyrischen Kopf-Pop zu liefern, sondern die Seele der Deutschen zu bewegen. Die Platte war über ein Jahr ununterbrochen in den Top Ten, die gleichnamige Single verschaffte ihm seinen ersten Nummer-Eins-Song in Deutschland.

Der viel zitierte Witz, jemand könnte das Telefonbuch vertonen und immer noch einen Hit landen - auf Grönemeyer trifft er seitdem zu. Und niemandem außer ihm würde man es gönnen, damit auch noch Erfolg zu haben.

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