NRW-Islampolitik in der Sackgasse

Das Land NRW verhandelt mit vier konservativen Islamverbänden über die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Sie wollen in NRW-Schulen Religionsunterricht erteilen. Darunter ist auch die von Erdogan direkt gesteuerte Ditib.

Wer darf in NRW islamischen Religionsunterricht erteilen?

Wer darf in NRW islamischen Religionsunterricht erteilen?

Foto: dpa

Düsseldorf. Aus Sicht der NRW-Staatskanzlei ist islamischer Religionsunterricht „von großer Wichtigkeit für die Integration und Gleichstellung der muslimischen Schülerinnen und Schüler“ im Lande. Woraus sich automatisch die Frage ergibt: Wer darf ihn erteilen? Antwort: Islamische Religionsgemeinschaften.

Das Problem: Es gibt bislang keine anerkannten islamischen Religionsgemeinschaften in NRW, die zum Beispiel der katholischen oder evangelischen Kirche vergleichbar wären. Doch es gibt islamische Vereine, die es gerne wären. Die NRW-Staatskanzlei, das NRW-Arbeit- und das NRW-Schulministerium verhandeln darüber bereits seit geraumer Zeit mit vier konservativen Verbänden, die sich zu einem „Koordinationsrat der Muslime“ zusammengeschlossen haben.

Dazu gehören die Islamische Religionsgemeinschaft Nordrhein-Westfalen (IR NRW), der Landesverband der Islamischen Kulturzentren Nordrhein-Westfalen (LVIKZ NRW), der Zentralrat der Muslime in Deutschland, Landesverband NRW (ZMID-NRW) — und Ditib, der deutsche Ableger der türkischen Religionsbehörde, der direkt aus Ankara von Erdogan gesteuert und bezahlt wird. Politisch begleitet wird die „Dialog“ genannte Verhandlung von Vertretern der im Landtag vertretenen Fraktionen.

Von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, ist der Prozess relativ weit gediehen. Wie die Staatskanzlei in der vergangenen Woche auf Anfrage bestätigte, liegt inzwischen ein Rechtsgutachten darüber vor, das in Bezug auf die vier Verbände zu dem Ergebnis kommt, „dass aufgrund der Satzungen der Verbände aus rechtlicher Sicht alle vier Verbände die relevanten Kriterien grundsätzlich erfüllen.“

Ob auch die notwendigen tatsächlichen Voraussetzungen bei den vier Verbänden gegeben seien, werde derzeit in einem religionswissenschaftlichen Gutachten geprüft: „Dieses ist noch in Bearbeitung. Sobald es vorliegt, werden die Ergebnisse beider Gutachten sorgfältig ausgewertet“, so ein Sprecher der Staatskanzlei. Das bedeutet: Nach der Sommerpause erreicht die Diskussion den Landtag.

Laut des Ditib-Sprechers Zekeriya Altug hat der türkische Verband auf Grundlage ähnlicher Gutachten in Hamburg und Bremen es bereits erreicht, Staatsverträge über den Religionsunterricht abzuschließen. In Hessen sei Ditib als Religionsgemeinschaft am Religionsunterricht beteiligt, in NRW und zwei weiteren Bundesländern stünden Verhandlungen kurz vor dem Abschluss, so Altug in dieser Woche im evangelischen Pressedienst, gegenüber dem er die Kritik an Ditib als „Bashing von Muslimen“ zurückwies, dass der Integration schade.

Doch der beliebte rhethorische Ditib-Trick, sich ganz allgemein hinter dem Islam zu verstecken und sachliche Kritik als Muslim-Feindlichkeit in Misskredit zu bringen, zieht nicht mehr. Am klarsten tritt dem Verein der Kölner Grünen-Abgeordnete Volker Beck entgegen: Wer mit Ditib kooperiere, so Beck, kooperiere nicht mit einer Religionsgemeinschaft in Deutschland, sondern mit Ankara.

In der Außendarstellung ist Ditib stets bemüht, für die Friedfertigkeit des Islam, Völkerverständigung und Toleranz zu werben sowie die politische Steuerung durch Ankara und explizit durch Erdogan und seine AKP zu leugnen. Unter all den hehren Zielen, die Ditib auf seine offiziellen Fahnen schreibt, kommt eins nie vor: Die Förderung der Integration türkischstämmiger Menschen in Deutschland und das vorbehaltlos Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Im Gegenteil ist die heutige Ditib, die sich vom kleinen Religionsdienstleister zur faktischen Aufsicht von rund 900 Moschee-Vereinen in Deutschland aufgeschwungen hat, eine der effektivsten politischen Waffen Erdogans, um Integration zu hintertreiben. Ditib bezahlt den Moscheevereinen die Vorbeter. Diese Imame werden in der Türkei ausgebildet, bleiben in der Regel nicht länger als fünf Jahre und sprechen überwiegend kein Deutsch. Sie leben in den deutschen Gemeinden häufig ein türkisch-islamisches Familienmodell vor, das einem Scharia-Islam entspricht. Sie werden von der staatlichen Religionsbehörde und Erdogans direktem Umfeld kontrolliert, von dort erhalten sie pünktlich zu jedem Freitag ihre Predigtexte.

Wo immer Erdogan in Deutschland seine Anhänger in Stellung bringt, sind Ditib-Vertreter in vorderster Linie mit dabei. Sie demonstrierten im Juni mit der AKP-Lobbyorganisation UETD (Union türkisch-europäischer Demokraten) vor dem Brandenburger Tor gegen die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestags und bezeichneten den Genozid an den Armeniern als „Völkermord-Lüge“ und schafften es anschließend nicht einmal, sich einheitlich von der rassistischen Hetze Erdogans („unreines Blut“) gegen türkischstämmige Bundestagsabgeordnete zu distanzieren und Drohungen gegen prominente deutsch-türkische Politiker wie Grünen-Chef Cem Özdemir zu distanzieren.

Stattdessen lud Ditib anschließend die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), vom gemeinsamen Fastenbrechen zum Ende des Ramadan aus. Zuvor hatte Ditib in Berlin einen angesetzten Termin mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) abgesagt, ebenfalls zum Fastenbrechen. Damit antwortete der Kölner Verband indirekt auf die Aufforderung führender Bundespolitiker, sich klar von Erdogans Einschüchterungsversuchen zu distanzieren.

Am Freitag nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei ließ Ditib in den angeschlossenen Moscheen eine Predigt vorlesen, die (nicht nur) Volker Beck als rassistisches und nationalistisches Machwerk zurückwies und darüber den Schlagabtausch mit Serap Güler, der integrationspolitischen Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion in NRW suchte.

Güler hatte noch im November von „pauschalen Vorverurteilungen“ der Grünen gegenüber den konservativen Islamverbänden gesprochen und betont: „Ohne die Verbände als Partner würde es noch schwerer, junge Menschen vor einem Abgleiten in extremistische Weltanschauungen zu schützen. Daher müssen die Verbände fair auf ihre Eignung geprüft werden anstatt Politik auf ihre Kosten zu machen.“

Dies dürfte innerhalb der CDU bald eine Einzelmeinung sein. Armin Laschet, CDU-Landesvorsitzender und lange Gülers Förderer, schwenkte in einem TV-Interview bereits auf die Linie, dass es natürlich keine Zukunft habe, wenn Ditib in Deutschland geborene und ausgebildete Imame durch die enge Bindung an Ankara verhindere.

Die Vorsitzende der NRW-Grünen, Mona Neubaur, erklärte auf Anfrage, die Landespartei teile die Einschätzung der Bundespartei und damit Volker Becks. Die Haltung der Bundesgrünen zu Ditib ist eindeutig: keine Religionsgemeinschaft, höchstens ein religiöser Verein. Es sei „religionspolitisch bedenklich, dass die Ditib strukturell der staatlichen Religionsbehörde der Türkei, und damit der dortigen jeweiligen Regierungspolitik, untersteht“.

Womit die NRW-Staatskanzlei, das NRW-Arbeit- und das NRW-Schulministerium ihre Prüfung samt „Dialog“ einstellen können: Selbst innerhalb der rot-grünen Landesregierung ist der Wille zur Anerkennung weg. Was bleibt, ist das Problem.

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