Analyse Fünf Thesen, warum die CDU ein Problem hat

Hamburg · Mit der Neuwahl ihrer Führungsmannschaft hat sich die CDU für die Europawahl und die Landtagswahlen 2019 aufgestellt. Fünf Bemerkungen, was aus dem Hamburger Parteitag folgt und folgen kann.

Neue CDU und jetzt? - Fünf Thesen, warum die CDU ein Problem hat
Foto: dpa/Rainer Jensen

1.) Die Vorsitzende AKK stabilisiert die GroKo

Ob Annegret Kramp-Karrenbauer bloß eine "Mini-Merkel" ist oder das Zeug hat, die "neue Merkel" zu werden - die Adjektive "mini" und "neu" beschreiben (vorerst) die Bandbreite der maximalen Abweichung der neuen Parteivorsitzenden vom Kurs der Kanzlerin. Daher wirkt die Wahl von "AKK" ohne Zweifel stabilisierend auf die Große Koalition: Merkel muss - anders als dies bei einem Vorsitzenden Friedrich Merz gewesen wäre - keine grundsätzlich gemeinten Querschüsse auf ihre Regierungsarbeit aus dem Konrad-Adenauer-Haus fürchten. Das dürfte auch einer der wichtigsten Gründe gewesen sein, warum vor allem Abgeordnete unter den Delegierten am Ende für Kramp-Karrenbauer gestimmt haben. Selbst wenn das Herz "Merz" bei der einen oder dem anderen gesagt hat - der Stift kreuzte "keine Neuwahlen, lieber Stabilisierung bei deutlich mehr als 30 Prozent" und damit "Job-Erhalt" an. Bei Merz als CDU-Vorsitzendem hätte die SPD sich aktiv auf ein vorzeitiges Koalitionsende einzurichten begonnen, auch gegen den Willen von Andrea Nahles. In Hamburg ist die Ära Merkel nicht zu Ende gegangen, sondern in die Verlängerung.



2.) Die "Merkel muss weg"-Fraktion wird keine Ruhe geben


Das Ausmaß der Enttäuschung und Frustration, der viele Merz-Anhänger seit der Stichwahl am späten Freitagnachmittag freien Lauf lassen, ist nur erklärbar aus der vollkommen irrationalen Siegesgewissheit, in die sich sein Lager bis zum Donnerstagabend hineingesteigert hatte. Wer so übertrieben hoch fliegt, fällt entsprechend tief (siehe Schulz-Hype der SPD). Wütend sollten die Frustrierten und Enttäuschten eigentlich auf ihren Hoffnungsträger a.D. sein: Friedrich Merz hat auf dem Parteitag alle Angebote ausgeschlagen, sich - und damit seine Positionen - in die Parteiführung einbinden zu lassen. Friedrich Merz erweist sich in der Niederlage als das, was er auch im Falle seines Sieges gewesen wäre: ungeeignet für die notwendige Partei-Arbeit. Ob er sich nun wieder zurückzieht oder als Gespenst durch die Reihen der innerparteilich Opposition geistert - beides schadet der Union.



3.) Die Partei tickt konservativer als ihre Wähler


Im Ergebnis (das haben viele inhaltliche Beschlüsse am zweiten Tag in Hamburg gezeigt) rückt die CDU nun wirklich etwas weiter nach rechts, aber das wird den Rechten natürlich niemals rechts genug sein. Das Dilemma der CDU als Volkspartei ist ein anderes: Die Partei-Basis der CDU tickt konservativer als die Mehrheit der Wähler, die sie erreichen kann. In der Halle Beschlüsse gegen den "Abmahnverein" Deutsche Umwelthilfe zu fassen und gleichzeitig im Foyer Audi und VW werben zu lassen - das ist höflich gesprochen kein Erfolgsrezept, wenn man überzeugen und Wahlen gewinnen will. Die CDU droht gerade einer Selbsttäuschung zu erliegen. Sie feiert den Hamburger Parteitag als bisher ungekannten Höhepunkt des öffentlichen Interesses: Nie kamen mehr Journalisten, nie wurde mehr berichtet. Alles richtig. Das Problem daran: Davon ist in Deutschland nicht eine einzige Zeitung zusätzlich verkauft worden, die Einschaltquoten der TV-Sendungen waren mittelmäßig, die Online-Reichweite trotz maximaler Präsenz des politischen Journalismus mager. Die Mobilisierung der Mitgliedschaft hat die Öffentlichkeit in Wahrheit überwiegend nicht erreicht.



4.) Die CDU ist auf dem Weg in die SPD-Falle


Was macht man als Parteiführung mit einer Mitgliedschaft, die man bis zum Anschlag mobilisiert hat, der man aber kein erlösendes Finale bieten kann? In vergleichbarer psychologischer Situation entschloss sich die SPD 2017, eine Vokabel aus der Hölle zu verwenden: "Erneuerung". Davon redet die SPD seitdem, nur findet nirgends erlebbar Erneuerung statt. Ein paar Namen wurden ausgetauscht und weiter von Erneuerung geredet. Nun führen auch Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr frischgebackener Generalsekretär Paul Ziemiak das Wort "Erneuerung" in die CDU ein. Das ist gefährlich. Unter "Erneuerung" kann sich jeder vorstellen, was er will, und ebenso enttäuscht sein, wenn er es nicht bekommt. Vor allem aber: Die Placebo-Vokabel verliert ihre Wirkung ab dem Tag der ersten Verwendung. "Erneuerung" ist weder ein messbarer Vorgang noch ein erreichbares Ziel. Erneuerung ist bloß politisches Blablabla. Mit Selbstgesprächen überzeugt man keine Wähler. Gewinner sagen, wofür sie stehen.



5.) Die "Tischwahlkabine" als Symbol


Bei Twitter brachte es ein Pappaufsteller, den die Delegierten bei Wahlen verwenden mussten, gleich zu einem eigenen Hashtag: Unter #Tischwahlkabine liefen lustige Bilder von CDU-Mitgliedern, die - ja, an was erinnerten diese Bilder eigentlich genau? Vor allem daran, dass die CDU - vor allem da, wo sie Regierungsverantwortung trägt - ständig von Digitalisierung redet. Und dann Tischwahlkabinen aufstellt. Bei der Wahlen verzögert beginnen, weil die Stimmzettel erst aus dem Drucker kommen müssen. Dann laufen fleißige Helfer herum und sammeln die Zettel ein. Dann werden die Stimmen gezählt. Von Hand. Beim Digitalisierungskongress des Wirtschaftsministeriums erklärte Angela Merkel in der vergangenen Woche, sie wolle den Begriff "Neuland" nicht mehr verwenden, nachdem sie sich damit einen Shitstorm eingefangen habe. Sie spreche jetzt lieber von "noch nicht durchschrittenem Terrain". Wie auch immer: Die "Tischwahlkabine" ist das unfreiwillige Symbol der "Digitalisierungs-Partei" CDU. Sie redet von der Zukunft, aber sie lebt weiter in der Welt von Zettel und Stift.

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