Nahles und Schulz — ein altbekanntes Duo für eine ganz neue SPD
Mindestens bis zur Wahl in Niedersachsen wird der Parteichef nicht angerührt. Die Arbeitsministerin Nahles scheint die Frau der Zukunft zu sein.
Düsseldorf. Die französischen Sozialisten? Marginalisiert. Auch in den Niederlanden und etwa in Griechenland sind die Sozialdemokraten nur noch Randerscheinung, längst im einstelligen Prozentbereich angekommen. Irgendwo unkenntlich verschwommen zwischen der Linken und einer Politik für die Mitte der Gesellschaft, mit der Funktionsträger offenbar ständig gegen die eigene Basis anarbeiten. Ist genau das die Malaise, mit der auch die deutschen Sozialdemokraten zu kämpfen haben? Es wäre jene selbst empfundene Zwickmühle, aus der die britische Labour Party mit einem dezidiert linken Programm von Parteichef Jeremy Corbyn vor wenigen Monaten vielleicht den Ausweg aufgezeigt hat, als sie 40 Prozent verzeichnete.
Als es gestern in Berlin zu überprüfen galt, wie viel das klare „Nein“ zur erneuten großen Koalition nach einer kurzen Nacht noch wert ist, sagte SPD-Chef Martin Schulz noch immer bei schlechter Laune auf Kanzlerin Angela Merkel gemünzt: „Wenn sie mich anrufen will, soll sie mich anrufen.“ Allerdings, empfahl Schulz bissig, solle Merkel „ihre Zeit besser für andere Anrufe nutzen“. Es ist viel kaputt gegangen zwischen freundlicher Handreichung noch im sogenannten TV-Duell und dem Abend am vergangenen Sonntag. Dazwischen lag ein Wahlergebnis, das Schulz die Laune so richtig verhagelt hat: Merkels gelebtes Phlegma statt direkter Auseinandersetzung wird der in den letzten Wochen noch erstaunlich kämpferische SPD-Chef als verantwortlich für seine jetzige persönliche Situation ausgemacht haben. Das schmerzt. Aber war nicht Befindlichkeit noch nie ein guter Ratgeber?
Der Mann, der mit Listenplatz 1 in den Bundestag einzieht, sieht sich und seine Partei in der Opposition. Es sei wichtig, dass jetzt „die Verwischungsstrategie nicht fortgesetzt wird“, sondern klare politische Alternativen erkennbar würden. Welche Rolle er sich dabei selbst zuweist, hat der Würselener gestern mit einer Personalie beantwortet: Auf Schulz’ Vorschlag soll die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und damit Nachfolgerin von Thomas Oppermann werden.
Schulz selbst, hört man etwa von der einflussreichen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und anderen Quellen, soll Parteivorsitzender bleiben und der SPD-Fraktion mit Nahles künftig ein glaubwürdig linkeres Profil geben. Sicher ist: Mindestens vor der Wahl in Niedersachsen am 15. Oktober wird an Schulz in der SPD nicht herumgedoktert, danach werden die Karten noch einmal neu gemischt.
Andrea Nahles hatte sich mit gut bewerteter Regierungsarbeit und auch mit ihrer jüngsten Parlamentsrede beworben, als die 47-Jährige Angela Merkel zehn Minuten lang im leidenschaftlichen Stakkato attackierte. Und darauf pochte, etwa den Mindestlohn gegen den Widerstand des CDU-Wirtschaftsflügels, der CSU und der Wirtschaftsverbände durchgeboxt zu haben. Für den linken SPD-Flügel ist das nicht viel mehr als überfällige Agenda-Korrektur, aber eben mindestens auch das, was die künftige Oppositionsführerin nach dieser politischen Zeitenwende mitbringen muss. Nahles gilt nicht als begabteste Rednerin, ihre schnoddrige Art aber wirkt stets kämpferisch, das wird man brauchen können. Sie ist anerkannt umgänglich und unprätentiös und unter dem Strich gewiss sehr viel geeigneter als Thomas Oppermann, der ein Mann des Ausgleichs war — geschaffen für Zeiten in der großen Koalition.