GroKo Meinung: Der Weg für eine Koalition ist noch lange nicht frei

Es ist ein Irrglaube, Deutschland sei mit dem gestrigen Parteitagsbeschluss einer stabilen Regierung wirklich näher gekommen. Der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat und Noch-Vorsitzende Martin Schulz hat lediglich seine Schonfrist verlängert, und das mit einer Zustimmung von 56,38 Prozent alles andere als überzeugend.

 Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz beim SPD-Sonderparteitag in Bonn.

Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz beim SPD-Sonderparteitag in Bonn.

Foto: Federico Gambarini

In jeder anderen Partei würde es nun der Führung (wozu sonst ist sie da?) überlassen, die Koalition mit der Union auszuhandeln und eine Regierung zu bilden. Bei der SPD steht die Regierungsbildung unter dem Zustimmungsvorbehalt eines Entscheids der aktuell 440 000 Mitglieder. Zu verantworten hat dies der Vorsitzende, der zusammen mit seinen Vize-Vorsitzenden in den Monaten seit der verlorenen Bundestagswahl einen abenteuerlichen Schlingerkurs gefahren hat.

Für die Zustandsbeschreibung der SPD muss man sich das Wort „Stratarchie“ merken. Es beschreibt für die innerparteiliche Demokratie, so erklärt es die Bundeszentrale für politische Bildung, „ein gestuftes Herrschaftssystem, das eine Anzahl von innerparteilichen Gruppen und Personen umfasst“. Der Duisburger Politikwissenschaftler Julian Salandi benutzt den Begriff in Bezug auf die Sozialdemokratie für eine wenig freundliche Diagnose: „Sowohl vertikal — über Parteiflügel, Strömungen und klar positionierte Parteiorganisationen wie den Jusos — als auch horizontal wirken die innerparteilichen Kräfte klar sichtbar und nahezu typisch für eine lose verkoppelte Anarchie.“

Veröffentlicht hat er sie am vergangenen Freitag im sechsten Band der von Karl-Rudolf Korte herausgegebenen Schriftenreihe „Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland“. Titel: „Die SPD. Anamnese einer Partei“. Der Band beschreibt die SPD als das, als was Deutschland die älteste deutsche Parteien gestern erlebt hat: Als eine Vereinigung, die geprägt ist von tiefem Misstrauen zwischen einer verunsicherten Führungselite auf der einen und enttäuschten Mitgliedern sowie ehrenamtlichen Funktionären auf der anderen Seite. Und die drei Autoren der Studie lassen auch keinen Zweifel daran, was die Ursache des desolaten Zustands ist: Führungsversagen.

Sollte das Verhandlungsergebnis den SPD-Mitgliederentscheid überleben, was nach dem gestrigen Parteitag keineswegs wahrscheinlicher geworden ist, muss die SPD ihre Organisations- und Führungsstruktur dringend vom Kopf auf die Füße zurückstellen. Dass diese Füße Martin Schulz gehören werden, ist gestern in Bonn nicht wahrscheinlicher geworden.

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