Wie hart muss Schwarzfahren wirklich bestraft werden?

Ein Vorstoß von NRW-Justizminister Peter Biesenbach zur Entkriminalisierung von Schwarzfahrern beschäftigt den NRW-Landtag.

Wie hart muss Schwarzfahren wirklich bestraft werden?
Foto: Nanninga

Düsseldorf. Dass die Grünen im NRW-Landtag etwas gut finden, das von der CDU kommt, passiert nicht oft. Doch den Ball, den Peter Biesenbach (CDU) kürzlich ins Spiel brachte, nehmen sie gern auf. Der NRW-Justizminister hatte laut darüber nachgedacht, Schwarzfahren nicht mehr in jedem Fall als Straftatbestand einzustufen. Mit einer Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit würden angesichts der geringen kriminellen Energie nicht unerhebliche Haftkosten für inhaftierte Schwarzfahrer entfallen. Auch führe das zur Entlastung von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten.

Wie hart muss Schwarzfahren wirklich bestraft werden?
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Eine Position, die die Grünen teilen. Nun wollen sie, dass der CDU-Minister die Idee in die Tat umsetzt. Ihr Antrag in der heutigen Plenarsitzung: Der Landtag solle das Vorhaben des Justizministers unterstützen, „auf Bundesebene die Ahndung der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne entrichtetes Entgelt als Ordnungswidrigkeit zu erwirken, wenn sie in der Einzelperson nicht gehäuft auftritt.“ In der Tat müsste die Sache auf Bundesebene umgesetzt werden — es geht um eine Änderung des Strafgesetzbuches.

Ganz und gar nicht begeistert sind die Verkehrsbetriebe von Biesenbachs Vorstoß. Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, hält ihn für „absolut kontraproduktiv. Damit schadet man den 95 Prozent ehrlichen Fahrgästen, den Verkehrsunternehmen und ihren Mitarbeitern. Die bezahlen am Ende gemeinsam die Zeche, wenn Schwarzfahrer zu glimpflich davonkommen.“

Wolff lässt das Argument der Entlastung bei den Behörden und öffentlichen Kassen nicht gelten: „Man verschiebt die Belastung damit von der Landesbehörde Staatsanwaltschaft zu den Ordnungsbehörden auf kommunaler Ebene, die sich dann um die Ordnungswidrigkeiten kümmern müssten. Von einer Entlastung der öffentlichen Hand kann also dabei keine Rede sein.“

Der Verband will, dass Schwarzfahren eine Straftat bleibt. Die abschreckende Wirkung einer drohenden Freiheitsstrafe als letzte Konsequenz sei „absolut notwendig“. Denn das auf zivilrechtlicher Basis erhobene „Erhöhte Beförderungsentgelt“ werde häufig nicht bezahlt. So gingen den Verkehrsunternehmen bundesweit jährlich 250 bis 300 Millionen Euro an Ticketeinnahmen durch Schwarzfahren verloren. „Alle ehrlichen Kunden müssen das über ihre Ticketpreise mitbezahlen“, klagt Wolff.

Auch Eckhard Lander, Sprecher der Rheinbahn in Düsseldorf, hätte sich gewünscht, dass der Justizminister nicht nur auf die überlastete Justiz schaut. Sondern auch auf eine funktionierende Abschreckung gegen das Schwarzfahren. Das vor zwei Jahren von 40 auf 60 Euro erhöhte Beförderungsentgelt (eine Art Vertragsstrafe), das die Rheinbahn gut 60 000 Mal im Jahr geltend macht, habe offensichtlich keine abschreckende Wirkung. Der Rheinbahn entstünden jährlich mehr als drei Millionen Euro Schaden durch Schwarzfahrer. Lander betont, dass das Unternehmen keineswegs mit jedem Fall die Justiz behelligt: „Wir bringen nur Leute zur Anzeige, die in 18 Monaten zum dritten Mal aufgefallen sind.“

Doch wie weit sind die Pläne des Justizministers gediehen? Kann er diese gegen mögliche Widerstände in den eigenen Reihen umsetzen? Auf Nachfrage betont Marcus Strunk, Referatsleiter im Justizministerium und Sprecher von Justizminister Peter Biesenbach: „Dem Minister geht es darum, bundesweit eine Diskussion über die Folgen des Schwarzfahrens und eine mögliche Entkriminalisierung anzustoßen.“ Diese Diskussion habe durch den Vorstoß gerade erst begonnen. Die kommenden Wochen und Monate sollten genutzt werden, diese Diskussion intensiv mit den anderen Justizminister der Länder, der juristischen Fachwelt und der Öffentlichkeit zu führen.

Dabei hat der Justizminister durchaus schlagkräftige Argumente für seinen Vorstoß: Auch mit einer Ordnungswidrigkeit werde gegenüber Schwarzfahrern eine gesetzliche Missbilligung ausgesprochen. Statt einer Geldstrafe sei dann ein Bußgeld zu zahlen, das notfalls mit Zwangsmitteln vollstreckt werde. Nicht jedes Fehlverhalten verdiene das Maß an Missbilligung, das mit einer Straftat verbunden ist.

Biesenbach verweist auf die Kosten, die dem Staat entstehen: Könne jemand eine wegen Leistungserschleichung ausgesprochene Geldstrafe nicht bezahlen, führe das dazu, dass die Geldstrafe als Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden müsse. Das komme die Gesellschaft teuer zu stehen. Jeder Hafttag pro Person koste den Steuerzahler gut 131 Euro. Hinzu kämen die sozialen Folgekosten. Sprecher Marcus Strunk: „Aufgrund einer Inhaftierung verlieren einige ihren Arbeitsplatz oder ihre sozialen Kontakte. Die Miete zahlt häufig auch keiner. Und wenn die Menschen wieder auf die Straße gelassen werden, haben sie oft weder Arbeit noch Wohnung. Dann ist der soziale Abstieg kaum noch zu bremsen. Und so wird sehr schnell aus einem Schwarzfahrer ein ,echter’ Krimineller.“

Jenseits des Rechtlichen verweist das Justizministerium auf ganz praktische Maßnahmen: In anderen europäischen Ländern gebe es nicht nur beim Einstieg in einen Bus eine Fahrtkartenkontrolle, sondern voll-elektronische Zugangssysteme. Solche Maßnahmen könnten auch in Deutschland die Zahl der Schwarzfahrer in den Verkehrsmitteln deutlich reduzieren. Auch dieser Punkt müsse in den kommenden Wochen ressortübergreifend diskutiert werden.

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