Streitgespräch: „Es werden nur Löcher gestopft“

Student Philipp Tacer gibt Minister Pinkwart Kontra – nicht nur bei den Studiengebühren.

Herr Pinkwart, Herr Tacer, Schüler und Studenten demonstrieren für eine bessere Bildung - und gegen Studiengebühren.

Tacer: Die Gebühren gehören abgeschafft. Sie führen dazu, dass die soziale Selektion, die schon durch das Schulsystem vorhanden ist, noch stärker reproduziert wird. Gerade junge Leute aus einkommensschwachen Schichten haben eine materielle, aber auch psychologische Hemmschwelle.

Woran liegt das?

Tacer: Wenn Eltern arbeitslos oder Geringverdiener sind, stellt sich bei einem Abiturienten die Frage: Mache ich eine Ausbildung und verdiene Geld? Oder gehe ich an die Uni, zahle Gebühren und verschulde mich? Als ehemaliger Asta-Chef habe ich tagtäglich solche Beratungsgespräche geführt.

Pinkwart: Mir ist wichtig, dass niemand aus finanziellen Gründen vom Studium abgehalten wird. Was stimmt: Dort, wo Eltern keine akademische Ausbildung haben, sind Kinder weniger geneigt, eine Hochschulausbildung zu beginnen. Das ist allerdings kein neues Phänomen.

Wie wollen Sie das ändern?

Pinkwart: Erstens: Jeder kann die Studienbeiträge nachgelagert entrichten, hat also Anrecht auf ein Darlehen. Zweitens: Studenten ab dem mittleren Bafögsatz zahlen faktisch keine Studienbeiträge. Gerade für die Einkommensschwachen haben wir durch Studienbeiträge keinerlei Hürde.

Dennoch studieren zu wenige aus bildungsfernen Schichten.

Pinkwart: Ihnen fehlt oft die Planungssicherheit. Deshalb müssen wir die Übergänge von der Schule zur Hochschule besser gestalten. Etwa durch Tutoren in den ersten beiden Semestern, die die Studenten an die Hand nehmen. Da fließt auch Geld aus Studienbeiträgen hin.

Tacer: Aber seien Sie ehrlich: Mit den Gebühren lässt sich die strukturelle Unterfinanzierung des Bildungswesens nicht beheben. Es werden nur Löcher gestopft.

Pinkwart: Natürlich verbessern Studienbeiträge die Qualität des Studiums. Vor dem Regierungswechsel 2005 mussten die Hochschulen die Langzeitgebühren beim Finanzminister abgeben. Jetzt haben sie im Vergleich zu 2005 eine halbe Milliarde Euro mehr. Ob das ausreicht, darüber kann man diskutieren.

Wegen der doppelten Abiturjahrgänge wird es einen Ansturm auf die Hochschulen geben.

Pinkwart: Dafür haben wir den Hochschulpakt, durch den wir 1,8 Milliarden Euro bereitstellen, um in den kommenden fünf Jahren 90 000 zusätzliche Studienplätze in NRW zur Verfügung zu stellen. Wir haben im Landeshaushalt klare Prioritäten gesetzt: Bildung statt Steinkohlesubventionen. Der Hochschulausbau kostet uns in den nächsten Jahren 1,3 Milliarden Euro. Das finanzieren wir unter anderem aus den Steinkohlesubventionen, die wir dann nicht mehr zahlen müssen.

Der Bund gibt zu Hochschulpakt I und II aber einiges dazu.

Pinkwart: Das kostet den Bund letztlich weniger als die Abwrackprämie. Die Politik muss klarmachen, ob sie in alte Autos oder junge Köpfe investieren will.

Tacer. Auf das Wort Abwrackprämie habe ich nur gewartet. Man sollte auch an die ökonomische Basis im Land denken. Ich denke da an die Opel-Rettung. Wir können nicht nur auf den Dienstleistungssektor setzen, und in Zukunft schneiden sich 80 Prozent der Arbeitnehmer gegenseitig die Haare. Eine industrielle Basis ist auch für den Wissenschaftsstandort NRW insgesamt wichtig.

Zurück zu den Gebühren. Sprechen die hohen Studienanfängerzahlen nicht für Akzeptanz?

Tacer: Düsseldorf hat in den vergangenen fünf, sechs Jahren mehr als 7000 Studierende verloren. Die Sozialverträglichkeit ist einfach nicht gegeben. Außerdem ist das Stipendiensystem mangelhaft.

Pinkwart: Studienanfänger- wie auch Absolventenzahlen sind auf Rekordhoch. Natürlich spricht das für die Akzeptanz. Ein Stipendiensystem bauen wir gerade auf. Bisher gab es so etwas nicht einmal für zwei Prozent aller Studenten. In NRW bieten wir zum Wintersemester 1200 Stipendien über 300 Euro monatlich an, die je zur Hälfte vom Land und von privater Hand aufgebracht werden.

Tacer: Sie doktern noch Jahre, nachdem sie die Gebühren eingeführt haben, an einem Stipendienwesen herum.

Pinkwart: Wir haben eineinhalb Jahre versucht, Ihre Parteifreunde von der SPD für ein bundesweites Modell zu gewinnen . . .

Tacer: Schaffen Sie die Gebühren ab und sorgen Sie für ein gerechtes und breites Bafög. Dann brauchen wir auch keine Stipendien.

Hat sich durch die Gebühren denn an den Unis etwas verbessert?

Tacer: Vor Einführung der Gebühren waren Maßnahmen gestrichen worden. In Düsseldorf gab es etwa einen Bestellstopp für neue Bücher. Jetzt fließt Geld aus den Studiengebühren in die Bibliothek. Es wird auch in studentische Hilfskräfte investiert.

Dann sieht man doch Erfolge?

Tacer: Den Unis geht es auf niedrigem Niveau etwas besser. Aber der gesellschaftliche Preis dafür - soziale Auslese - ist zu hoch.

Sind Sie mit der Umstellung auf Bachelor und Master zufrieden?

Pinkwart: Mit dem Umsetzungsstand bin ich zufrieden. Allerdings sehe ich auch noch Verbesserungsbedarf. Wir hatten uns zum Beispiel erhofft, dass mehr Studenten ins Ausland gehen.

Den Studenten fehlt die Zeit.

Pinkwart: Das ist eine Frage der Organisation. Die Hochschulen müssen Kooperationsvereinbarungen schließen. Und wir müssen sicherstellen, dass der Auslandsstudienanteil aufs Studium angerechnet wird.

Und was ist mit der Stoffdichte?

Pinkwart: Auch hier ist noch eine Menge zu tun.

Tacer: Wir sehen den Bologna-Prozess als Abbau von Bildung. Der Bachelor ist ein verschultes Schmalspurstudium. Eine akademisch intellektuelle Auseinandersetzung mit Wissenschaft findet immer seltener statt. Die Seminare sind oft überfrachtet.

Wie wollen Sie das ändern?

Pinkwart: Mein Ministerium begleitet den Prozess intensiv - über Beratungen, Ziel- und Leistungsvereinbarungen.

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