SPD-Parteitag: Volle Kraft voraus zur Macht

Auf dem Parteitag der NRW-SPD wird Hannelore Kraft zur ersten Frau an der Spitze der Landespartei gewählt - und erzeugt gleich Aufbruchstimung.

<b>Bochum. Der alte Politik-Profi Franz Müntefering erfindet die Überschrift des Parteitags der NRW-SPD bereits vor dem eigentlichen Höhepunkt: "Heute fängt was Neues an. Der 22. Mai 2005 ist endlich vorbei." Rund zwei Stunden später wissen auch die 429 Delegierten, was "Münte" gemeint hat. Sie haben gerade eine Hannelore Kraft in Hochform erlebt. Ihre 65-minütige Bewerbung um das Amt des Landesparteichefs war eine Vorstellung der oberen Güteklasse und ein hochdosierter Wiederbelebungsversuch für eine malade, depressive Landespartei. Geht man nach dem Jubel in der Jahrhunderthalle, ist er an diesem Nachmittag gelungen.

Emotion und Vision, eine gelungene Verbindung von Tradition und Moderne - das alles haben die Genossen an Rhein und Ruhr lange vermisst. Weder Wolfgang Clement noch Peer Steinbrück oder gar Jochen Dieckmann konnten das bieten. Kraft gibt ihnen davon reichlich.

Gleich zu Anfang beweist sie, wie geschickt und ernsthaft sie sich auf den Parteitag vorbereitet hat. In der ersten Reihe sitzt Peter Wolf aus Essen, 96 Jahre alt und seit 80 Jahren SPD-Mitglied. "Ich empfinde Demut und Ehrfurcht vor dem, wofür Du stehst", sagt Kraft.

Damit ist klar: Sie stellt sich voll in die Tradition der Partei, der Arbeiterbewegung. Immer wieder baut sie in der kommenden Stunde solche direkten Ansprachen ein, die signalisieren: "Ich bin eine von Euch, ich brauche und respektiere Euch."

Und sie beweist, dass sie die ganze Palette der sozialdemokratischen Werte drauf hat: für Mitbestimmung, für ein integratives und durchlässiges Bildungssystem, für die Steinkohle, aber gegen Privatisierung und Aufweichung des Kündigungsschutzes. Im Laufe ihrer Rede werden die Delegierten - zuletzt nicht gerade verwöhnt von guten Reden ihrer Landesparteichefs - immer wacher, spenden häufig und kräftig Beifall.

Klar benennt Kraft das Ziel: "Wir werden dafür sorgen, dass die Regierung von Rüttgers nur eine Episode bleibt." Der CDU-Mann sei nichts anderes als ein "Sozialschauspieler. Er ist nicht ehrlich, nicht authentisch, nicht echt."

Ihr finaler Appell um "Herz und Leidenschaft" geht schon im tosenden Applaus unter. Nun muss sie noch gewählt werden, die 95,6 Prozent passen perfekt.

"Eine sehr starke Rede. Das ist eine öffentliche Kampfansage an Rüttgers - mit Emotion und einer starken Präsenz", zeigt sich Dietmar Bell, Unterbezirkschef der SPD in Wuppertal, begeistert. "Super-Rede. Jetzt haben wir wieder Lust zu kämpfen", sagt die Krefelder SPD-Frau Petra Schneppe. "Komplett das Thema aufgenommen. Jeder merkt: Sie will regieren", sagt Franz Müntefering in seiner typischen Art unserer Zeitung.

Jubel pur also bei den Genossen. Sie registrieren zudem aufmerksam, dass sie auf altbewährte Verbündete zählen können. "Lasst uns das Projekt Landtagswahl 2010 gemeinsam angehen", sagt DGB-Landeschef Guntram Schneider. Damit schüttelt er endgültig die Umarmung von Rüttgers ab, der die Gewerkschaften zuletzt umgarnt hat.

Die 45-jährige Mülheimerin hat eine politische Karriere im Sauseschritt hingelegt. In die SPD ist die Tochter einer Verkäuferin und eines Verkehrsmeisters erst 1994 eingetreten. Bereits im Jahr 2000 kam sie in den Landtag, nur zehn Monate später machte sie Wolfgang Clement zur Europa- und Bundesratsministerin. Peer Steinbrück ernannte sie zur Wissenschaftssenatorin. Nach der Wahlniederlage im Mai 2005 wurde sie Fraktionschefin im Landtag.

Kraft ist verheiratet und Mutter eines 13-jährigen Sohnes. Die Diplom-Kauffrau verbringt ihren Urlaub gerne in den Bergen beim Skilaufen.

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