Scientology: „Hilfe, wer holt mich hier raus?“

Sekten: Nach der Flucht einer 14-Jährigen vor Scientology fordert die Hamburger Sektenbeauftragte ein Verbot der Organisation.

Düsseldorf. Erst vor wenigen Wochen ist Scientology durch sein prominentes Mitglied Tom Cruise in der Rolle des Graf von Stauffenberg in die Schlagzeilen geraten. Nun sorgt ein neuer Fall für Aufsehen. Eine 14-Jährige flüchtet von Berlin nach Hamburg, um den Sprung aus der Sekte zu schaffen, in der ihre Stiefmutter Mitglied ist. Dadurch ist eine Diskussion um mangelnde Anlaufstellen für Scientology-Aussteiger entbrannt. Die Hamburger Sektenbeauftragte Ursula Caberta forderte gestern bei der Vorstellung ihres Buchs "Schwarzbuch Scientology" ein Verbot der Organisation.

Der Verfassungsschutz NRW beobachtet Scientology seit Jahren. Ludger Harmeier, Sprecher des Landesinnenministeriums, bestätigt, dass verfassungsfeindliche Tendenzen festgestellt wurden. Allerdings sei die "politische Betätigung" in den vergangenen Jahren zurückgegangen, so dass die Organisation - anders als in Bayern - nicht mehr im Verfassungsschutzbericht auftaucht.

Das größere Problem sei mittlerweile, dass die Menschen abhängig gemacht werden. "Die Kursteilnehmer werden um ihr Geld gebracht", so Harmeier. Dafür sei aber der Verfassungsschutz nicht zuständig. Den Status als Kirche hat Scientology in Deutschland - anders als in den USA - nie erhalten.

Die Anlaufstelle für Scientology-Austeiger und Angehörige ist in NRW der Verein Sekten-Info Nordrhein-Westfalen. Dieser wird vom Land unterstützt und kümmert sich um neue religiöse Bewegungen - darunter fällt auch Scientology.

Dass immer mehr Menschen in NRW Hilfe im Fall "Scientology" brauchen, zeigen die Zahlen des Sekten-Info: 254 Menschen haben sich 2006 über Scientology informiert (2005: 88 Anfragen). Auch die Beratungsfälle sind um mehr als 100 Prozent auf 55 gestiegen (2005: 25). Fünf Personen nahmen eine Rechtsberatung in Anspruch. Sie fühlten sich an ihrem Arbeitsplatz durch den bei Scientology engagierten Chef unter Druck gesetzt.

Sabine Riede arbeitet seit 20 Jahren bei der Sekten-Info. Kommen Jugendliche, wie in dem Berliner Fall, schaltet sie das Jugendamt ein. Kinder, deren Eltern Scientologen sind und in die Beratungsstelle kommen, klagen darüber, dass ihre Eltern wenig Zeit und Verständnis für sie haben. "Das passt zu der Lehre von Scientology: L. Ron Hubbard sagt sinngemäß in seinem Buch Kinderdianetik, dass Kinder Erwachsene in kleinen Körpern sind. Das heißt, der Erziehung und Kindheit wird nicht die Bedeutung beigemessen wie üblicherweise in der Pädagogik", sagt Riede.

Und es kommen Frauen, deren Männer Mitglied bei Scientology geworden sind. Sie klagen darüber, dass ihre Männer kühler geworden sind und viel Geld ausgeben. "Dann versuchen wir, die Männer in die Beratung mit ein zu beziehen. Klappt das, nehmen die meisten wieder Abstand von der Organisation."

Besonders Missionierungsversuche machen zunehmend Ärger, erzählt Riede von aktuellen Beispielen. Da ging ein Mädchen zu einer Freundin nach Hause. Deren Mutter hat gleich versucht, einen Scientology-Kurs mit ihr zu machen. Das sind die offensichtlichen Versuche. Häufig fällt der Name Scientology aber sehr spät. Zunächst heißt es: ’Mach mehr aus dir selbst’. "Das ist sehr typisch für unsere Gesellschaft", sagt Riede. Das will jeder.

Dann befindet man sich schon mittendrin in der Organisation, gibt viel Geld für Kurse aus, um am Ende der Entwicklung die Stufe 15 zu erreichen, in der man Ursache über Zeit, Energie, Raum und Materie sein soll - ein Art Übermensch. Auf der Erde sind nur die ersten acht Stufen freigegeben, sagt Riede. Bis man die achte Stufe erreicht, könne man durchaus 500 000 Dollar loswerden.

Wer aussteigen will, hat es nicht leicht. "Man muss dann an vielen Stellen vorstellig werden. Das ist richtiger Psychoterror", weiß Riede aus den Erzählungen ihrer Patienten. Jedes Mal werde man bearbeitet, dass man doch bleiben soll: ’Ohne uns bist du verloren. Halte durch, du musst den inneren Widerstand überwinden. Sonst war doch alles umsonst.’

Wer lange dabei ist, steigt meistens erst dann aus, wenn er etwas Schlimmes erlebt. Solche Langzeit-Scientologen brauchen nach ihrem Ausstieg vor allem psychotherapeutische Hilfe. "Sie haben furchtbare Ängste, Schuldgefühle und müssen die Ideologie aufarbeiten", erzählt Riede.

Zusätzlich Probleme bekommen sie, wenn sie als vollzeitliche Ehrenamtliche für Scientology tätig waren: Für ihren Job erhalten sie bloß ein Spottgehalt von monatlich 200 Euro für 40 Stunden pro Woche, weil sie als Auslgleich die teuren Kurse gratis oder preiswerter bekommen. Scientology verlangt dann beim Ausstieg das Geld für die Kurse zurück. "Dies sollte man nicht tun, sondern stattdessen seinen entgangenen Arbeitslohn rückwirkend einfordern", sagt Riede. Meist reiche es aber, dass die Aussteiger zusammen mit den Beratern eine Kündigung aufsetzen.

Standorte In Deutschland gibt es neun Scientology-Standorte, zwei in Düsseldorf. Die Scientology Organisation (SO) hat in Deutschland bis zu 6000 Mitglieder (eigene Angaben: 12 000), davon rund 2600 in Bayern.

Gründung 1954 gründete der US-Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard die erste "Kirche". Nach dessen Tod übernahm David Miscavige die Führung.

Konflikt Nach dem bayerischen Verfassungsschutzbericht 2006 "liegt die SO seit Jahrzehnten im Konflikt mit den Rechtsordnungen demokratischer Staaten. Die Vorwürfe lauten z.B. auf Betrug und Wucher gegenüber Kunden, Bedrohung und Nötigung von Kritikern, auf Verschwörung gegen die Regierung, Steuerhinterziehung und Bildung krimineller Vereinigungen".

Beratung Betroffene können sich beim Sekten-Info NRW unter Telefon 0201-23 46 46/20 76 17 melden.

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