Schleierfahndung: Polizeikontrollen ohne Verdacht?

Im Landtag prallen die Argumente für und gegen eine Schleierfahndung aufeinander.

Schleierfahndung: Polizeikontrollen ohne Verdacht?
Foto: Andreas Bischof

Düsseldorf. Die politischen Fronten bei der Frage, ob der Polizei verdachtsunabhängige Kontrollen erlaubt werden sollen, sind eindeutig (s. Infokasten). Dennoch hörte sich der Innenausschuss des Landtags am Donnerstag Experten an, um weitere Erkenntnisse zu erlangen, die den politischen Prozess dann am Ende auch wieder verändern könnten. Dabei waren die Experten in zwei Lager getrennt: Während die drei befragten Rechtsprofessoren Bedenken formulierten, forderten die Vertreter von drei Polizeigewerkschaften in großer Einmütigkeit das Instrument der Schleierfahndung vom Landesgesetzgeber ein.

Christoph Gusy, Staatsrechtsprofessor an der Uni Bielefeld, stellte klar, dass es schon jetzt auf nordrhein-westfälischem Boden die Schleierfahndung durchaus gebe. So dürfe die Polizei Kontrollstellen zur Aufklärung von Straftaten errichten. Wenn also zum Beispiel irgendwo ein Terroranschlag verübt worden ist. Auch könne die Bundespolizei eine Schleierfahndung in NRW durchführen. Davon abzugrenzen sind Verkehrskontrollen, bei denen Fahrzeug und Fahrer nach verkehrsicherheitsrechtlichen Aspekten überprüft werden.

Gusys Kollege Hartmut Aden, Rechtsprofessor aus Berlin, hat schon gegen die bereits in anderen Bundesländern und bei der Bundespolizei erlaubte Schleierfahndung rechtliche Bedenken. Der Schengener Grenzkodex verbiete gerade Grenzkontrollen, die über die Schleierfahndung im Binnenland dann doch wieder vorgenommen würden. Und er fragt: „Welche Kriterien sollen Polizeibeamte heranziehen, wenn sie eine verdachtsunabhängige Kontrolle durchführen?“ Äußerlichkeiten wie ein ,fremdes’ Aussehen könnten dann das prägende Auswahlmuster werden. Auch wenn man eine einzelne Kontrolle nicht als gravierend ansehe, so müsse man sich doch in die Lage eines Menschen versetzen, der in dieses Verdachtsraster falle. „Die Eingriffsintensität für diese Menschen erhöht sich allein durch die häufige Wiederholung des Eingriffs erheblich.“

Sein Kollege Christoph Gusy bestätigt das mit einer nicht rechtlichen, sondern persönlichen Erfahrung. Er habe selbst bei einem Frankreich-Aufenthalt gesehen, wie Personen mit „maghrebinischem Aussehen“ alle paar Hundert Meter kontrolliert worden seien. Gusy will allerdings nicht per se von einer Verfassungswidrigkeit von Regelungen zur Schleierfahndung sprechen, wie es sie jetzt schon in anderen Bundesländern gibt. Doch er bezweifelt den Nutzen: „Man fängt kleine Fische, für die die Schleierfahndung gar nicht angeordnet werden dürfte.“

Auch Michael Bäuerle, Rechtsprofessor aus Gießen, betont den großen Aufwand und den vergleichsweise geringen Nutzen, den die Schleierfahndung bringe. Er belegt das mit Zahlen aus der hessischen Kriminalstatistik. In Hessen seien von 2001 bis Ende 2015 bei Sonderkontrollen rund 1,6 Millionen Fahrzeuge und 3,2 Millionen Personen kontrolliert worden. Ganze 4,5 Prozent dieser Personen erwiesen sich als verdächtig, eine Straftat begangen zu haben. Das heißt: mehr als 95 Prozent der Kontrollen blieben ohne polizeilich relevantes Ergebnis. „Solche Maßnahmen ins Blaue binden viele Polizeistunden und laufen zum größten Teil ins Leere.“

Die Praktiker sehen das ganz anders. Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, sagt, dass die Polizei „dieses Handwerkszeug“ braucht. Und zwar nicht nur die von der CDU geforderte Identitätskontrolle. Im Rahmen verdachtsunabhängiger Kontrollen müssten auch Durchsuchungen möglich sein. Dem Vorwurf der Diskriminierung allein dadurch, dass Personen mit ausländischem Aussehen kontrolliert würden, tritt die Deutsche Polizeigewerkschaft mit diesem Argument entgegen: Ein Großteil der Einbrecher gehöre osteuropäischen Banden an. Auch wenn man an die Gefahr eines islamistisch motivierten Terroranschlags denke, liege es nun mal nahe, dass bei vielen polizeilichen Eingriffsmaßnahmen ausländisch aussehende Personen kontrolliert werden. „Sollen die von den Kritikern geäußerten Bedenken dazu führen, dass die Polizei ihren gesetzlichen festgeschriebenen Aufgaben nicht mehr oder nur noch eingeschränkt nachkommen soll?“

Auch Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter wünscht sich eine Rechtsgrundlage für verdachtsunabhängige Kontrollen. Bisher könne die Polizei bei einer Verkehrskontrolle doch nur den Fahrer und das Fahrzeug auf Verkehrstüchtigkeit, aber nicht einmal den Beifahrer oder weitere Fahrzeuginsassen überprüfen. Deutlich wird auch sein Kollege Volker Huß von der Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Wir haben lange genug Kriminalität verniedlicht“, sagt er. Straftäter suchten sich sehr wohl aus, in welchem Bundesland sie aktiv werden. NRW liegt beim Verfolgungsdruck da natürlich hinten, ohne Frage“, fügt er hinzu. Auch würden die Polizisten, so versichert die GdP, nicht willkürlich und ausufernd von verdachtsunabhängigen Kontrollen Gebrauch machen — dazu fehlten schon die personellen Ressourcen.

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