Richterin Ricarda Brandts: „Wir Frauen sind offener“

Ricarda Brandts, höchste Richterin in NRW, zur Gleichberechtigung und zur NSU.

Düsseldorf. Frau Brandts, Sie sind die erste Frau an der Spitze des NRW-Verfassungsgerichtshofs. Ist das ein Signal oder schon Normalität?
Ricarda Brandts: Es ist jedenfalls neu. Bisher gab es keine Frau an der Spitze des Oberverwaltungsgerichts und damit auch nicht an der Spitze des Landesverfassungsgerichts. Insofern ist das auch ein Signal.

Unterscheiden sich Richterinnen in ihrer Arbeit von ihren männlichen Kollegen?
Brandts: Rein fachlich sicher nicht, das wäre ja auch schlecht. Aber ich registriere doch manchmal Unterschiede in der internen Zusammenarbeit, die vor allem im zwischenmenschlichen, kommunikativen Bereich liegen. Da sind Frauen oft offener, die Kommunikation funktioniert besser. Das mag an der Familienverantwortung liegen, die immer noch maßgeblich von Frauen wahrgenommen wird und die soziale Kompetenz positiv beeinflusst.

Unterstellt man den Fall, jemand habe Deutschland vor 20 Jahren verlassen und kehrt nun bar jeder Information zurück: In Berlin regiert eine Bundeskanzlerin, in Düsseldorf eine Ministerpräsidentin, in Münster gibt es eine Verfassungsgerichtspräsidentin. Ist das eine Revolution?
Brandts: Nein, aber eine Entwicklung. Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich sehr geändert — in die richtige Richtung. Mittlerweile beträgt der Frauenanteil etwa bei den Sozialgerichten in NRW bereits 50 Prozent, bei den Verwaltungsgerichten 40 Prozent. Das ist eine gute Grundlage für die Erhöhung des Frauenanteils auch in den höheren Besoldungsgruppen.

Ihr Vorgänger Michael Bertrams hat in aufsehenerregenden Urteilen Landesregierungen jedweder Ausrichtung teils drastisch vor Augen geführt, wo die Grenzen des verfassungsgemäßen Handelns sind. Ist er Ihr Vorbild?

Brandts: Mein Amtsvorgänger hat sicherlich teilweise sehr pointiert die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtshofs zur Geltung gebracht. Die Grenzen verfassungsgemäßen Handelns gegebenenfalls auch der Landesregierung aufzuzeigen, gehört zu den Aufgaben dieses Gerichts. Ich werde bei der Ausübung des Amtes sicherlich meinen eigenen Stil finden; Vorbilder habe ich nicht.

Vor allem auf Bundesebene gab es eine Debatte darüber, ob das Verfassungsgericht nicht die Grenzen seiner Kompetenz überschreitet, wenn es den Mehrheitswillen der gewählten Volksvertreter korrigiert oder gar zurückweist. Wie ist Ihre Position in dieser Debatte?
Brandts: Ich bin der Überzeugung, dass eine Korrektur nur stattfindet, wenn das Grundgesetz dies gebietet. Ich halte es für richtig, dass das Verfassungsgericht in Karlsruhe bei der Gesetzesauslegung gesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigt, wie etwa jüngst beim Thema der Sukzessivadoption in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften.

Die Verwaltungsrichtervereinigung hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft einen Protestbrief gegen die Nullrunden für Richter in der Tarifrunde überreicht. Haben Sie Verständnis?
Brandts: Ich nehme wahr und habe auch Verständnis dafür, dass die Kollegen die Nullrunde als Missachtung ihrer Leistung bewerten. Es geht hier also nicht nur um Geld, sondern um das Gefühl fehlender Wertschätzung.

Rund um den NSU-Prozess gab es Unmut über die Verteilung der Presseplätze. Haben Sie Verständnis?
Brandts: Dafür habe ich sogar sehr großes Verständnis. Unabhängig von möglichen Akkreditierungsfehlern halte ich das Interesse der türkischen Medien an der Berichterstattung unmittelbar aus dem Gerichtssaal für berechtigt.

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