Weitere Panne Polizeianwärter sichtet im Fall Lügde Beweismaterial

Düsseldorf/Detmold · Der vielfache Kindesmissbrauchs in Lügde entwickelt sich zu einem handfesten Polizei-Skandal. Innenminister Herbert Reul hält das Verhalten der Beamten bei der Beweismittelauswertung für „unverantwortlich“.

 Im Skandal um verschwundene Beweisstücke zum Kindesmissbrauchs in Lügde ist ein Sonderermittler im Einsatz.

Im Skandal um verschwundene Beweisstücke zum Kindesmissbrauchs in Lügde ist ein Sonderermittler im Einsatz.

Foto: dpa/Friso Gentsch

Es handele sich um einen Kommissaranwärter, der mit der Sichtung der Beweismittel betraut gewesen sei, sagte eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. „Dieses Vorgehen verstößt zwar nicht gegen Dienstvorschriften, ich halte es aber trotzdem für unverantwortlich - gerade in einem derart anspruchsvollen und sensiblen Fall“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) der „Rheinischen Post“. Auch andere Medien hatten darüber berichtet.

Missbrauchsfall entwickelt sich zum Polizeiskandal

Der Missbrauchsfall in der Kleinstadt im Kreis Lippe hat sich zu einem Polizeiskandal entwickelt. Reul hatte am Donnerstag eingeräumt, dass 155 Datenträger, die als Beweismaterial gelten, seit Wochen verschwunden seien. Ein Sonderermittler mit vier Mitarbeitern des Landeskriminalamts (LKA) soll den Verbleib der Datenträger klären. Die Beamten überprüften nun auch den Einsatz des Polizeianwärters, sagte die Ministeriumssprecherin am Freitag. Sie machte keine Angaben, ob weitere Ermittler mit der Sichtung der großen Datenmengen betraut gewesen seien.

GdP-Landeschef Mertens warnt vor Vorverurteilung

Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, warnte indes vor einer Vorverurteilung von Polizisten. „Das Krisenmanagement des Innenministers sollte nicht nur darin bestehen, Polizisten an den Pranger zu stellen“, sagte Mertens am Freitag auf Anfrage. „Missstände müssen benannt werden, aber viele Beamte machen einen guten Job und die fühlen sich nun angegriffen.“ Wichtig sei, dass zunächst aufgeklärt werde: „Erst die Fakten, dann das Fazit.“

Dass ein Polizeianwärter mit der Sichtung des Materials betraut worden sei, müsse nicht zwangsläufig falsch sein. „Wenn es um eine erste Sichtung geht, ob überhaupt etwas zu sehen ist, kann das ein Anwärter machen. Die Bewertung, ob es sich bei Aufnahmen von Kindern um Straftaten handelt, sollte dann aber später ein Profi vornehmen“, sagte Mertens.

Die Beauftragung des Anwärters sei möglicherweise dem Personalmangel geschuldet. „Die Behörde in Lippe hatte mal 447 Polizisten, heute sind es 359, davon sind 60 Kriminalbeamte.“ Dies sei das Resultat jahrzehntelanger Versäumnisse.

Belastungstest für Reul

Der Polizeiskandal um die verschwundene Beweisstücke wird nun auch zum Belastungstest für Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU). In 18 Monaten schwarz-gelber Landesregierung hatte sich der 66-Jährige mit harter Hand gegen Kriminelle und öffentlichkeitswirksamen Aktionen als „Paradepferd“ im Kabinett von Armin Laschet (CDU) erwiesen - trotz seiner lockeren Zunge. Nach den schrecklichen Missbrauchsfällen von Lügde und ständig neuen Enthüllungen über weitere Opfer, Täter und Behördenversagen steht Reul nun aber unter Druck, sich als Chefaufklärer zu beweisen.

Noch agiert die Opposition mit angezogener Handbremse. Rücktrittsforderungen erhebt sie bislang nicht. Alle fünf Fraktionen haben sich vorgenommen, das Thema Kindesmissbrauch nicht parteipolitisch auszuschlachten. Lediglich die AfD drohte am Freitag bereits mit einem Untersuchungsausschuss, kann den alleine aber nicht durchsetzen.

Die neuesten Enthüllungen um die verschwundenen Beweismittel im Missbrauchsfall von Lügde sind an diesem Freitag auch Thema im Plenum des Landtags. Ursprünglich wollten die Fraktionen von CDU, FDP, SPD und Grünen mit einem gemeinsamen Antrag ihren Willen bekräftigen, Kinder in NRW künftig noch besser vor Missbrauch zu schützen. Doch die Debatte wurde von dem Skandal überschattet. SPD und Grüne wollen eine Sondersitzung des Innenausschusses für die kommende Woche beantragen.

(dpa)
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