Patientenverfügung: Wieviel Würde braucht der Tod?

Der Bundestag debattiert am Donnerstag erstmals über die Grenzen der Sterbehilfe und das Selbstbestimmungsrecht.

Düsseldorf. Welche Anforderungen sind an eine Patientenverfügung zu stellen, wie verbindlich soll sie sein? Diese sensiblen Fragen sind am Donnerstag erstmals Thema im Bundestag. Bei der noch vor der Sommerpause geplanten Abstimmung soll der Fraktionszwang aufgehoben werden.
Die Ausgangslage
Schon heute gibt es in Deutschland schätzungsweise sieben Millionen Patientenverfügungen. Allerdings kursieren die verschiedensten Muster, oft ist den Menschen die Tragweite ihrer Formulierungen etwa für den Fall der dauerhaften Bewusstlosigkeit nach einem Unfall nicht klar. Zudem kann sich derzeit trotz grundsätzlicher rechtlicher Verbindlichkeit der Patientenverfügung niemand sicher sein, dass seinem Willen entsprochen wird. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) vor vier Jahren einen Fall entschieden, in dem eine Patientenverfügung zwar vorlag, die Ärzte aber die von den betreuenden Angehörigen verlangte Einstellung der künstlichen Ernährung verweigerten. Der BGH urteilte, nicht nur die Patientenverfügung sei maßgeblich, erst müsse ein Vormundschaftsgericht angerufen werden.
Der Regelungsbedarf
Der Präsident der Bundesärztekammer bestreitet einen Regelungsbedarf. Jörg-Dietrich Hoppe betont, Sterben sei "nicht normierbar, da kann es keine absolute Rechtssicherheit geben”. Die Erwartung der Bürger, dass die Politik Vorgaben etwa für die Form der Patientenverfügung macht und Hilfestellung für kompetente Fachberatung ermöglicht, ist aber so groß, dass es wohl zu einer Regelung kommen dürfte.
Der sensibelste Punkt
Es gibt verschiedene Entwürfe: Nach einem eher restriktiven Gruppenantrag soll eine Patientenverfügung nur dann für die Ärzte verbindlich sein, wenn der Krankheitsverlauf unumkehrbar zum Tode führt. Die Gegenposition, unter anderem von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) vertreten, lehnt eine solche Reichweitenbeschränkung der Patientenverfügung ab. Zum einen deshalb, weil gar nicht zu beurteilen ist, wann ein Krankheitsverlauf irreversibel zum Tod führt. Zum anderen, weil es dem Selbstbestimmungsrecht widerspreche, wenn der Patient nicht selbst entscheiden darf, in welchem Fall er etwa eine künstliche Ernährung oder die Antibiotika-Gabe ablehnt. Sterbehilfe und Patientenverfügung Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe wird als Tötung auf Verlangen bestraft. Dass etwa das Verabreichen der Giftspritze strafbar bleibt, steht überhaupt nicht zur Debatte. Passive Sterbehilfe hingegen kann straflos sein, wenn etwa auf künstliche Ernährung oder die Gabe von Medikamenten verzichtet wird. Straflos ist dies freilich nur, wenn es dem Wunsch des Patienten entspricht.
Patientenverfügung Problematisch wird es, wenn sich der Patient nicht mehr äußern kann. Hier kann auf einen zu einem früheren Zeitpunkt in einer Patientenverfügung geäußerten Willen zurückgegriffen werden. Schon heute bindet eine solche Patientenverfügung die Ärzte. Dennoch kommt es oft zu Streit, wie weit der Patientenwille reicht, Gerichte müssen dann entscheiden. KOMMENTAR: Der Auftrag für ein Sterben in WürdeVon Peter Kurz Endlich. Endlich befasst sich der Bundestag mit dem Sterben. Mit der Frage, inwieweit sich die Menschen darauf verlassen können, dass ihre Patientenverfügung umgesetzt wird. Tausende, ach was, Millionen warten darauf. Schon sieben Millionen Patientenverfügungen sollen in Deutschland in den Schubladen liegen. Ein Beweis, dass sich die Bürger sehr wohl mit dem Thema befassen, um das sich die Politik bisher herumdrückte.
Ein Fall: Sie starrt seit fünf Jahren an die Decke im kargen Zimmer ihres Pflegeheims. Sie wird ernährt durch eine Sonde. Er hat sie jeden Tag besucht. Er selbst wollte nie das erleben, was ihr da passierte. Er setzte eine Patientenverfügung auf. Und brauchte sie gottlob nicht. Er wachte eines Morgens einfach nicht mehr auf. Sie hat wohl nicht gemerkt, dass ihr Mann, mit dem sie Jahrzehnte verheiratet war, auf einmal wegblieb. Ein Jahr ist das nun her. Noch immer liegt sie da. Sie, die als Ärztin Tausenden half, nun aber nicht darauf zählen kann, dass ihre Kollegen die künstliche Ernährung einstellen ­ sie dürfen es nicht, eben weil sie es versäumte, ein Patiententestament aufzusetzen. Sie ist eine lebende Tote, eine tote Lebende. Sie ist meine Tante. Und wenn sie sich überhaupt noch etwas wünschen kann, da bin ich sicher, so ist es, dass die Batterie des Herzschrittmachers ihre Energie verliert.
Es gibt gute Gründe, das Thema Sterbehilfe und Patientenverfügung immer und immer wieder zu wägen. Nicht nur wegen unserer historischen Vergangenheit. Unter dem Deckmantel der Euthanasie (griechisch: "leichter Tod”) töteten die Nazis geistig Behinderte und psychisch Kranke. Und beschönigten das als "Vernichtung lebensunwerten Lebens”. Auch heute muss immer daran gedacht werden, wie es sich in Zeiten der Kostendämpfung stirbt, welcher Druck möglicherweise auf Kranke ausgeübt wird, sich für den Tod zu entscheiden. Doch es darf nicht sein, dass denjenigen, die sich ernsthaft Gedanken um diese existenzielle Frage machen, eine gesetzliche abgesicherte Handlungsanleitung für das Verfassen einer Patientenverfügung verweigert wird. Jeder von uns muss sich darauf verlassen können, dass das, was er sich unter einem Sterben in Würde vorstellt, von denen respektiert wird, in deren Händen sein Leben in den letzten Stunden und Tagen liegt.

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