Verfassungskommission NRW-Amtseid — zu wessen Wohle denn?

Früher widmete unsere Landesregierung ihre ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes. Diese Formel soll sich aber bald ändern.

Verfassungskommission: NRW-Amtseid — zu wessen Wohle denn?
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Düsseldorf. Es sollte der große Wurf werden. Der Umgang mit hohen Schulden und die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre standen unter anderem auf der üppigen Agenda, als die Verfassungskommission des NRW-Landtags im Februar 2014 ihre Arbeit aufnahm. Das Parlament hatte das Gremium bereits im Sommer 2013 eingesetzt, die konstituierende Sitzung folgte im November des selben Jahres.

Vertreter aller fünf im Landtag vertretenen Parteien hatten in diesem Gremium den Auftrag, „gemeinsam mit externen Fachleuten und den Bürgern des Landes den dritten Teil der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen systematisch zu überprüfen und dem Parlament Ergänzungen und/oder Streichungen für eine moderne, zukunftsfähige Verfassung vorzuschlagen“. Das mit dem Wahlrecht ab 16 Jahren hat bisher wegen der CDU nicht geklappt — aber die Eidesformel, die Mitglieder der Landesregierung beim Amtsantritt leisten, steht vor einer Revolution.

Bisher hieß es wörtlich: Ich schwöre, daß (der Artikel 53 ist schon etwas älter) ich meine ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können unparteiisch verwalten, Verfassung und Gesetz wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“ Die religiöse Beteuerung ist übrigens schon länger nicht mehr bindend. Nun sollen die Wörter „deutschen Volkes“ durch „Landes Nordrhein-Westfalen“ ersetzt werden. Hintergrund ist, dass in Nordrhein-Westfalen nicht nur deutsches Volk lebt — und die Landesregierung sich auch für das nicht-deutsche Volk zuständig fühlen soll beziehungsweise fühlt.

Im Anschluss wird das Thema dem Hauptausschuss und dem Rechtsausschuss zur weiteren Beratung vorgelegt. Für die Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Das wird aber kein Problem werden, weil sich SPD, Grüne, CDU und FDP bereits wohlwollend geäußert haben.

Das gilt beim Stichwort Schulden nicht. Die sogenannte Schuldenbremse wurde nicht eingebaut, weil Rot-Grün sowie CDU und FDP keinen gemeinsamen Nenner finden konnten. Das macht aber nichts, die Schuldenbremse wird 2020 ohnehin eingeführt, dann gibt es die Regelung halt vom Bund. Nicht geeinigt gilt ebenfalls in Sachen Individualverfassungsbeschwerde. Bisher können Bürger keine Verfassungsklage erheben — und das bleibt so.

Bei der gestrigen ersten Lesung nutzte der Kommissionsvorsitzende, Rainer Bovermann (SPD), die Gunst der Stunde, um die spärlichen Errungenschaften der dreijährigen Arbeit aufzulisten. Rund 60 Artikel der Landesverfassung habe man überprüft, 16 Änderungsvorschläge erarbeitet — die aber nicht unbedingt auf fruchtbaren Boden fallen müssen, siehe Wahlalter und Schuldenbremse. Bovermann kritisierte, dass „Medien die Verfassungskommission als gescheitert erklärt haben“. Das sei nicht wahr — auch wenn er sich „mehr Ergebnisse gewünscht“ hätte.

Mit einem Augenzwinkern berichtete Bovermann von Vorschlägen, die von Bürgern gemacht wurden. Einer forderte zum Beispiel den „Freistaat Nordrhein-Westfalen“. Laut Bovermann gab es aber auch umsetzbarere Vorschläge.

Als Kommissionsmitglied Hans-Willi Körfges (SPD) an das Rednerpult trat, gab es viele Dankesworte und den bemerkenswerten Satz, dass er sich immer noch eine Schuldenbremse vorstellen könne — allerdings nur, wenn „etwas dahinter steht“. Bis dahin hofft Körfges, dass „diejenigen, die den Wert der Arbeit nicht erkannt haben, in ein paar Jahren verstehen werden“.

Lutz Lienenkämper (CDU) nutzte das Rednerpult nach den vorweggeschickten Dankesworten in die Runde der Beteiligten dann doch für etwas vorgezogenen Wahlkampf. Er warf den Sozialdemokraten vor, sie hätten gar keine Schuldenbremse gewollt und die Änderung des Wahlrechts sei für den nächsten Landtag leicht beschließbar gewesen. Diese Geduld habe Rot-Grün nicht aufbringen wollen.

Stefan Engstfeld (Grüne) wiederum warf der CDU vor, sie habe „aus Angst vor 300 000 Jugendlichen“ (die ab 16 Wahlrecht bekommen hätten) die Änderung des Wahlrechts platzen lassen. Die CDU habe überhaupt dafür gesorgt, dass „der ganze politische Korb“ gescheitert sei. In Bezug auf die demnächst erfolgreiche Änderung der Eidesformel bemerkte Engstfeld, dass Nordrhein-Westfalen neben Schleswig-Holstein das einzige Bundesland sei, das noch auf das deutsche Volk schwöre.

Ingo Wolf (FDP) bedauerte unter anderem, dass ein solch bedeutendes Ereignis wie die gestrige Debatte im Plenum am Freitag um 14 Uhr stattfinden musste, da so die breite Öffentlichkeit eher ausgeschlossen sei. Warum eigentlich?

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