Düsseldorf Mit dem Computer rein ins selbstbestimmte Leben

Im Piksl-Labor helfen Menschen mit Behinderungen, Technik für alle verständlich und nutzbar zu machen. Gelebte und gelungene Inklusion.

Das Piksl-Labor entwickelte gemeinsam mit einer Industriedesignerin der Folkwang Universität der Künste in Essen ein Audioguidesystem, das man sich als Schal umhängt.

Das Piksl-Labor entwickelte gemeinsam mit einer Industriedesignerin der Folkwang Universität der Künste in Essen ein Audioguidesystem, das man sich als Schal umhängt.

Foto: Piksl

Düsseldorf. Mit Behinderten arbeiten, das heißt in unserer Gesellschaft versorgen, betreuen, allenfalls zu Hilfsarbeiten befähigen. Das ist so und doch wieder nicht. Die moderne Form der Behindertenhilfe strebt die volle Integration an, auch in den ersten Arbeitsmarkt. Der Weg: Ressourcen freischaufeln. Denn: Behinderte haben Fähigkeiten, die die Gesellschaft braucht. Im Piksl-Labor in Düsseldorf bringen Menschen mit geistigen Einschränkungen ihre computertechnischen Fähigkeiten ein.

Düsseldorf: Mit dem Computer rein ins selbstbestimmte Leben
Foto: Piksl

Das ehemalige Ladenlokal liegt unauffällig zwischen einem Pizza-Service und einem Lebensmittelladen, dessen Gemüse- und Obstverkaufsständer tief in den Bürgersteig ragen. So unscheinbar das Äußere des Piksl-Labors ist, so besonders ist das Innere, das wenig mit einer traditionellen Behindertenwerkstatt gemein hat. Der helle Raum mit seinen langen Computertischen, den die Piksl-Klienten mitgestaltet haben, erinnert bewusst an einen Co-Working-Space, „ denn die Menschen wollen nicht als Behinderte wahrgenommen werden“, betont Tobias Marczinzik, Leiter Piksl und Innovation: „Und dazu gehört auch, dass das Design nicht stigmatisiert.“

Im Labor arbeiten zirka sechs „Power User“ und noch mal so viele, die gelegentlich vorbeikommen, so der 37-jährige Marczinzik. Ehrenamtlich auf Honorarbasis; Frauen, Männer, Junge und Alte. „Wir haben in Düsseldorf den Weg in die Zukunft begonnen. Die Menschen wollen keine Alimente, sie wollen einen Beitrag leisten“, sagt Kurt-Ulrich Wiggers, Geschäftsführer von Piksl, nicht ohne Stolz auf die kleine Revolution, die da im Düsseldorfer Stadtteil Flingern stattfindet.

Revolutionär ist auch der Grundsatz von Piksl: Die Menschen werden von Anfang an einbezogen, der Fokus liegt auf ihren Stärken, nicht auf ihrer Behinderung. Wiggers erklärt: „Wir sehen sie als Experten, die technische Hürden kennen und wissen, wie sie überwunden werden können.“ Gerade durch ihre Einschränkung, die sie zwinge, einen Workaround (Behelfslösung) zu entwickeln, um zu überleben - zum Beispiel weil sie nicht lesen können. Leider traue die Gesellschaft Behinderten immer noch zu wenig zu. Gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen oder geistigen Einschränkungen werden stiefmütterlich behandelt, seien oft auf Sozialhilfe angewiesen. Bei Piksl wird ihr Erfahrungsschatz gehoben - zum Nutzen aller, indem Computertechnik weiterentwickelt und Medienkompetenz aufgebaut wird.

Rückblende: 2002 gründeten die Stiftung Bethel und die Diakonie Düsseldorf die Tochtergesellschaft „In der Gemeinde leben“ (IGL), die Behinderte in Wohnheimen, aber zunehmend auch in eigenen Wohnungen betreut. Wiggers erinnert sich: „2008 hatten wir mehr Menschen in eigenen Wohnungen. Wir standen vor der Aufgabe, auch dort, wie in den Heimen, die Kommunikation sicherzustellen.“ Für den heute 63-Jährigen eine klare Digitalisierungsaufgabe. Nachdem 2009 eine finanzielle Förderung und die Mitarbeit des Designers Marczinzik gesichert werden konnten, startete IGL 2010 das Piksl-Projekt, das dank Forschungs- und Prüfaufträgen, Produktentwicklungen und Spenden nach 2014 als Piksl Labor fortgesetzt werden konnte.

Beispiele: Piksl-Laboranten unterrichten, helfen zum Beispiel Senioren beim Einstieg ins Internet oder beim Bloggen. Mit der Bundeszentrale für politische Bildung erarbeiten sie Leitfäden für den Umgang mit den sozialen Medien. In Kooperation mit einem Kommunikationsdesigner der FH Düsseldorf entwickelt eine Frau, die weder lesen noch schreiben kann, aber mühelos Facebook bespielt, weil sie sich gemerkt hat, hinter welchen Buttons welche Funktionen und Worte stehen, ein Bildsprachesystem. Wiggers strahlt: „Sie wird als jemand wahrgenommen, der Wissen weitergibt, ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben.“ Das sei wirkliche Inklusion, keine Debatte darüber.

Im Workshop mit einer Industriedesignerin der Folkwang Universität der Künste in Essen wird ein Audioguidesystem für Menschen mit Behinderungen entwickelt, das wie ein Schal umgehängt wird. Der Museums-Führer wird ausgezeichnet und auf der Rehacare ausgestellt — findet aber bislang (noch) nicht den Weg in die Praxis.

Besonders bedeutsam ist der Auftrag von Eon, das sein Zahlungshilfeportal von Piksl testen lässt, weil zum Beispiel Menschen mit Einschränkungen nun mal am besten Schwächen entdecken können. Mit ihrer Hilfe wird Technik intuitiver, einfacher und für alle Menschen nutzbar - ob Behinderte, Migranten, Senioren, bildungsferne Menschen oder andere. Der Auftrag des Versorgungsunternehmens ist zudem ein wichtiger Schritt weg vom Image der Behindertenwerkstatt und er bringt wichtiges Geld in die Kasse.

Aktuelles Ziel von Piksl ist denn auch der erste Arbeitsmarkt, wofür es den Labor-Status verlassen und Befähigungsagentur werden will. „Wir wollen die Laboranten in Festanstellungsverhältnisse bringen.“ Unterstützung erhoffen sich Wiggers und Marczinzik dabei vom Bundesteilhabegesetz, das Behinderten mehr Selbstständigkeit verschaffen will und dafür finanzielle Unterstützung verspricht. Und von weiteren Aufträgen einer digitalisierten Gesellschaft.

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