Interview Minister Peter Biesenbach (CDU) - Justiz hat IS-Rückkehrer im Visier

Peter Biesenbach (CDU), NRW-Justizminister, über die Forderung seines Rücktritts, Clans, Islamisten und die Zukunft des Strafvollzugs.

 Justizminister Peter Biesenbach (CDU) im Gespräch mit Annette Ludwig (r.) und Juliane Kinast.

Justizminister Peter Biesenbach (CDU) im Gespräch mit Annette Ludwig (r.) und Juliane Kinast.

Foto: David Young

Herr Biesenbach, Sie standen zuletzt unter Dauerbeschuss aus der Opposition, man hat Ihren Rücktritt gefordert? Ist der Sturm vorbei?

Peter Biesenbach: Dazu vermag ich kein Urteil abzugeben. Aber ich hoffe darauf, wieder eine gescheite Basis für die Sacharbeit zu finden. Denn das ist unsere gemeinsame eigentliche Aufgabe und deren Bewältigung war zuletzt recht mühsam.

Es gab ja zuletzt Anliegen, die Sie mit der SPD gemeinsam hatten. Etwa den besseren Schutz für Gerichtsvollzieher. Hat es da trotz politischer Scharmützel geklappt mit Sacharbeit?

Biesenbach: Beim Thema eines besseren Schutzes gibt es keine Differenzen. Die Tücke liegt darin, dass die Gerichtsvollzieher aus verfassungs- und datenschutzrechtlichen Gründen nicht ohne Weiteres auf die Daten der Ermittlungsbehörden zugreifen dürfen. Am kommenden Freitag sind wir mit einem Gesetz zur Verbesserung der Auskunftsrechte der Gerichtsvollzieher im Bundesrat und ich hoffe, wir bekommen auch für den besseren Schutz eine gemeinsame Lösung hin.

Was Ihnen vorgeworfen wurde, war ja auch nicht ein Versagen in der Sache, sondern gerade im Fall Kleve, wo ein unschuldig in Haft sitzender Syrer bei einem Feuer starb, eher in der Kommunikation.

Biesenbach: Der Vorwurf, den ich anerkenne, ist, dass ich Informationen, die mir durch Berichte zugetragen wurden, als meine Aussage weitergegeben habe. Da bin ich vorsichtiger und präziser geworden und sage jetzt: „Wie mir berichtet wurde ...“ In einem Geschäftsbereich  mit 40 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bin ich darauf angewiesen, auf die Richtigkeit von Informationen zu vertrauen. Zweimal ging es daneben – und der Kollateralschaden war da. Ich verbuche das unter Lernprozess. Immer schnell und zugleich immer in jedem Detail richtig sein, das können wir nicht garantieren. Gerade in Umfangsverfahren sind die ersten Informationen meist ungesichert und anschließende Ermittlungen bringen abweichende Erkenntnisse hervor. Aber Informationen bis zur letzten Absicherung zurückhalten möchte ich auch nicht. Diesen Spagat müssen wir in Zukunft besser hinbekommen.

Sie haben sich im Fall Kleve sehr schnell und klar hinter die Justizmitarbeiter gestellt. Würden Sie das aufrecht erhalten?

Biesenbach: Die Staatsanwaltschaft ist Herrin des Verfahrens. Deren Abschlussbericht stellt alle Fakten zusammen, dann sieht die Welt vielleicht anders aus. Bis heute habe ich aber keinen Anlass, einzelnen Justizmitarbeitern irgendeinen Vorwurf zu machen oder mich nicht vor sie zu stellen. Aber es gab einen Punkt, der besser laufen muss: Denn wäre die Personenverwechslung durch die Polizei und daran anschließend durch die Staatsanwaltschaft Hamburg seitens der JVA aufgedeckt worden, wäre es nicht zur Tragödie gekommen. Wir haben eine Arbeitsgruppe gegründet, die erarbeitet, dass und wie die Anstalten selbst noch einmal die Identitäten der Strafgefangenen überprüfen.

Sie wollen zurück zur Sacharbeit. Wo sehen Sie da denn Schwerpunkte in NRW?

Biesenbach: Wir haben im März eine Zentralstelle Terrorismusverfolgung – kurz ZenTer – beim Generalstaatsanwalt in Düsseldorf installiert. Denn woran die staatsanwaltliche Arbeit oft krankt, ist, dass ein Intensivtäter mit verschiedenen Vergehen bei verschiedenen Staatsanwälten landet. Das geht nicht. Was ein Gefährder tut, muss bei ein und demselben Strafverfolger gebündelt werden, der diesen genau beobachtet und ihn einschätzen kann. Die ZenTer ist im Aufbau, hat aber schon einige Leute und funktioniert gut. Ich bin auch sehr froh, dass wir beim Oberlandesgericht in Düsseldorf einen vierten Staatsschutz-Senat einrichten konnten.

Worauf bereitet sich die Justiz konkret vor?

Biesenbach: Das Phänomen einer vielleicht zahlenstarken Rückkehr von IS-Kämpfern ist natürlich für uns alle neu. Zudem müssen wir auch die ersten Islamisten, die hier verurteilt wurden und bald wieder frei kommen, im Auge behalten. Da bauen wir Frühwarnsysteme mit den Anstalten auf und schauen, wie sie sich dort verhalten, ob wir Informationen an die Polizei geben können. Aber wir sind in jeder Hinsicht so gut vorbereitet, wie dies in der Theorie eben möglich ist. Und die praktische Erfahrung haben wir am Standort Düsseldorf auch.

Und in den übrigen Rechtsgebieten?

Biesenbach: Auch im Zivil- und Verwaltungsrecht stehen uns wichtige Monate bevor: So wollen wir die verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die die Umsetzung von Großprojekten betreffen, beschleunigen und die Phase der oft Jahre währenden Rechtsunsicherheit durch eine zügige höchstrichterliche Entscheidung abkürzen. Bei den ordentlichen Gerichten wollen wir den Justizstandort NRW durch die Einrichtung von „Commercial Courts“ attraktiv halten. Damit sind interessante Verfahren mit international tätigen Beteiligten gemeint, die vor ausgewählten Oberlandesgerichten ausgetragen werden sollen. Viele dieser Verhandlungen finden derzeit noch in London statt, welche Auswirkungen ein Brexit auf die Wahl des besten Gerichtsstandortes haben würde, ist aber völlig offen. Auch Rechtsstreitigkeiten werden eben immer internationaler, das bietet Chancen, die wir nutzen wollen.

Zentralstellen wie die ZenTer gibt es mittlerweile mehrere. Klappt das denn personell?

Biesenbach: Ja, wir haben für all unsere Zentralstellen ausreichend Personal. Parallel habe ich ja auch bei der Generalstaatsanwältin in Hamm die Zentrale Organisationsstelle für Vermögensabschöpfung (ZOV) eingerichtet und deutlich verstärkt – mit elf neuen Planstellen. Die berät alle Staatsanwaltschaften in NRW, wenn es darum geht, Vermögen aus Straftaten abzuschöpfen, wird aber auch selbst operativ tätig. Die ZOV soll auch etwa in Clanverfahren selbst einsteigen.

Sie sehen auch die Clankriminalität als eine der besonderen Herausforderungen für die Justiz in NRW?

Biesenbach: Sie zählt sicher dazu, vor allem in Duisburg und Essen. Da brauchen wir, wie bei den Gefährdern, einen ganz langen Atem und viel Beobachtung. Deshalb haben wir ja in beiden Städten je zwei „Staatsanwälte vor Ort“ eingesetzt, die sich nur um die Clans kümmern. Die haben nicht nur eine Menge Ermittlungsverfahren eingeleitet, sie untersuchen auch strukturelle Zusammenhänge. Die sind noch viel wichtiger, denn da wird beobachtet, wer mit wem wo beteiligt ist. Die entscheidenden Leute in den Clans bekommen wir erst, wenn wir die Strukturen durchdringen. Da müssen wir von den italienischen Mafia-Ermittlern lernen. Sie sind oft lange still, aber wenn sie zulangen, dann richtig und dann erwischen sie viele.

Kann man schon absehen, wie Ihre Kampagne zur Personalgewinnung läuft? Sie haben ja allein 1600 neu geschaffene Stellen zu füllen.

Biesenbach: Wir haben ja erst einmal mit der Türöffnerkampagne für die Justiz als Arbeitgeber geworben, jetzt fangen wir an, für die 27 Berufe einzeln zu werben. Ich kann es also noch nicht sagen.

Wo ist denn der Mangel am größten?

Biesenbach: Gegenwärtig im Justizvollzug, wo wir viele, viele offene Stellen haben. Wir haben für die Ausbildung sogar jede Menge Bewerber. Viele erfüllen aber aus den unterschiedlichsten Gründen die Einstellungsvoraussetzungen nicht.

Gibt es in einzelnen Anstalten schon Probleme, den Betrieb aufrechtzuerhalten?

Biesenbach: Nein, aber die Belastung macht sich bemerkbar bei den Überstunden, die angehäuft werden. Unser erklärtes Ziel, diese deutlich abzusenken, ist noch nicht erreicht, das können wir nur mit zusätzlichem Personal schaffen.

Ist es denn mit mehr Personal getan? Die Gefängnisse haben angeblich zunehmend mit einer psychisch auffälligen Täterklientel zu tun. Muss der Vollzug für die Zukunft anders aufgestellt werden?

Biesenbach: Wir untersuchen gerade alle Behandlungsmaßnahmen, die in den JVAs durchgeführt werden, und werten sie aus – das war das Erste, was ich im Amt angestoßen habe. Der kriminologische Dienst will im Herbst erste Ergebnisse liefern. Parallel schaut eine Expertenkommission, was in den Anstalten verbessert werden kann. Danach notwendige Veränderungen möchte ich auch möglichst politisch breit mittragen lassen, denn der Vollzug darf kein Streitpunkt werden. Dafür ist er zu brisant und wichtig.

Das heißt, sie sehen Handlungsbedarf?

Biesenbach: Ja, die Zusammensetzung der Inhaftierten ändert sich. Wir haben zum Teil ein Drittel auffälliger Insassen. Wir müssen es schaffen, sie in einen Behandlungsvollzug zu bekommen, der ihnen hilft. Daneben nehmen die Insassen mit Migrationshintergrund zu, in manchen Anstalten werden zig verschiedene Sprachen gesprochen. Oft weiß man bei ihnen auch nicht, ob die Menschen in ihren Heimatländern traumatisierende Erfahrungen gemacht haben. Diese Probleme hatte der Vollzug so vor 30 Jahren nicht. Deshalb haben wir im April letzten Jahres das ZIK, das Zentrum für interkulturelle Kompetenz im Strafvollzug, gegründet, das den Bediensteten beim Umgang mit der kulturellen Vielfalt hilft. Da sind zum Beispiel Islamwissenschaftler eingebunden.

Ihr Haus ist insbesondere im Bundesrat sehr aktiv – zuletzt mit der Initiative zu einer härteren Verfolgung von Plattformbetreibern etwa für Kinderpornografie im Darknet, jetzt mit den Rechten für Gerichtsvollzieher. Ist da noch mehr in Vorbereitung?

Biesenbach: Ja, wir möchten an das beschleunigte Verfahren noch mal ran. Das war gerade zu Karneval wieder ein Riesenerfolg, weil wir zum Beispiel Täter hatten, die am Altweiberdonnerstag Diebstähle oder eine sexuelle Nötigung begangen haben, über die tollen Tage in der Zelle saßen und am Aschermittwoch verurteilt waren. Das beeindruckt die Täter und stärkt das Vertrauen der Geschädigten, weil schnell etwas passiert. Aber das Verfahren ist organisatorisch recht aufwendig. Deshalb wollen wir gern erreichen, dass wir diese Tatverdächtigen statt einer künftig zwei Wochen festhalten können, damit wir zeitlich die Luft bekommen, das noch öfter anzuwenden. Das können wir nicht allein machen, da muss der Bund helfen, deshalb die weitere Initiative im Bundesrat.

Entlastet das beschleunigte Verfahren die Justiz?

Biesenbach: Kurzfristig: nein, denn es ist wegen der prozessualen Vorgaben erst einmal sogar mehr Arbeit. Aber es räumt die Arbeit schneller ab, die Strafe folgt auf dem Fuße und diese wird schneller und häufiger rechtskräftig: Das Verrückte ist, dass diese Angeklagten ganz selten Rechtsmittel einlegen, weil sie noch nachhaltig unter dem Eindruck des beschleunigten Verfahrens stehen. Auf Sicht ist das beschleunigte Verfahren damit ein unbestreitbarer Gewinn für die Justiz, Sie haben in mir einen klaren Fan dieses Instruments.

Oppositionsführer Thomas Kutschaty von der SPD sagte im Interview mit uns, er gönne Ihnen allmählich den Ruhestand. Es klingt nicht, als wollten Sie den.

Biesenbach: Ich habe immer gesagt: Alter ist keine Schande und Jugend kein Verdienst. Mir macht es Freude. Und so lange ich denke, ich kann der Justiz noch etwas Gutes tun, mache ich weiter.

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