Interview mit Hendrik Wüst „Die Krise muss Motor für Entwicklungen sein“

Düsseldorf · NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst spricht im Interview über die Verkehrswende, den Mittelstand und seine eigenen Ambitionen.

 NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst

Foto: dpa/Dpa

Unter dem Strich vereinten Berichte über NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst zuletzt eine Analyse: Wüst, 44, sei der Kronprinz im Kabinett von Ministerpräsident Armin Laschet. Der, der nachfolgen könnte, wenn der Aachener über den CDU-Bundesvorsitz tatsächlich Kanzler würde. Weil dann kurzfristig einer aus der CDU mit Landtagsmandat bereit stehen müsste, der mehrheitsfähig wäre. Wüst spricht nicht darüber. Er versucht, seine Arbeit als Minister vor allem geräuschlos zu machen. Die Turbulenzen um die Leverkusener Brücke fordern ihn gerade als Krisenmanager. Abseits vom Amt ist Wüst aber auch NRW-Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion in der CDU. Und hat in dieser Rolle Ansichten erdacht, die die Krise als Innovationsbeschleuniger verstehen will.

Herr Wüst, wie kommt Deutschland, wie kommt NRW durch diese Krise?

Hendrik Wüst: Jedenfalls besser als andere Länder, die von Populisten regiert werden, die die Gefahren des Virus geleugnet haben. Vom Ehrenamt, von den Kommunen bis zum Bund hat unser Land wieder einmal gezeigt, dass es in Krisen zusammensteht und alle anpacken. Aber natürlich reißt diese Krise viele Baustellen auf. Sie kann aber auch – und so sollten wir jetzt nach vorne denken – Motor sein für neue Entwicklungen und so als Innovationsbeschleuniger wirken. Zum Beispiel sollten wir darüber nachdenken, Masken und Schutzkleidung künftig nicht mehr über den weiten Weg aus Asien zu beschaffen. Wenn es schon dauerhaft nicht bezahlbar ist, sie direkt bei uns zu produzieren, sollten wir Anreize dafür schaffen, sie in der europäischen Nachbarschaft produzieren zu lassen, zum Beispiel in Nordafrika. Das hätte zwei Vorteile: Die Wege wären kürzer und wir würden dort wirtschaftliche Strukturen aufbauen, Menschen Perspektiven geben und so den Migrationsdruck deutlich verringern. So würde aus der Not ein Projekt kluger europäischer Nachbarschaftspolitik.

Als Verkehrsminister haben Sie eine ökologische und digitale Verkehrswende zu organisieren. Was ist hier ihr Ansatz?

Wüst: Dass Deutschland wieder Bahnland werden und beim Radwegebau mehr passieren muss, ist mehr eine Frage der Umsetzung, als dass die Ziele politisch umstritten wären. Aber es gibt konzeptionelle Fragen, die einer Klärung bedürfen, wenn auch in Zukunft mobile Innovationen „Made in Germany“ sein sollen:  Wir müssen über das autonome Fahren jenseits der Produktion des Autos sprechen. Wie bekommen wir das ausgerollt? Wir sind bislang sehr darauf konzentriert, was alles in dem Produkt Auto steckt. Digitalisierungsentwicklungen vollziehen sich aber anders. Das einzelne Produkt wird in seiner Bedeutung nachlassen, das sagen uns doch die Digitalplattformen. Wir müssen stattdessen einen Marktrahmen kreieren, der Investitionen auch für die Infrastruktur für autonomes Fahren anreizt. Das heißt: Wer investiert, bekommt eine Lizenz, autonomes Fahren in einem Land anzubieten.

Wir scheinen weit von solchen Lösungen entfernt zu sein.

Wüst: Der Bedarf wird da sein. Weil wir dadurch Zeit gewinnen, in der wir lesen, arbeiten, schlafen oder frühstücken können. Das ist uns etwas wert, dafür würden wir bezahlen. Um diesen Markt jetzt zu kreieren, müssen wir auf die vergangenen Regulierungen von Strom- und Telekommunikationsnetzen blicken. Der Rahmen lautet: Du investierst in autonomes Fahren, dann darfst Du dafür auch einen Preis nehmen. Den kann man regulieren, wie das beim Telefonpreis ja auch geschehen ist. Aber bietest du ein solches Netz an, darfst du einen Cent-Betrag pro gefahrenen Kilometer autonomes Fahren nehmen, um deine Investition zurückzuverdienen. Wenn wir die Automobilhersteller das Automobil fürs autonome Fahren entwickeln lassen und der Staat die Infrastruktur finanzieren soll, wird das nie etwas.

Als Chef der Mittelstandsvereinigung in NRW hören Sie täglich die konkreten Probleme. Was kommt da auf die Politik noch zu in dieser Krise?

Wüst: Wir sehen gerade große Unterschiede: Einige fahren wieder hoch und sind mit einem blauen Auge davongekommen. Aber wenn ich zum Beispiel auf die gesamte Reisebranche oder Vieles aus dem Bereich Dienstleistungen um Veranstaltungen herum blicke, dann ist das weiter hochproblematisch. Wir müssen uns als Politik um diese Mittelständler kümmern. Der Lufthansa wird strategisch sicher richtigerweise geholfen, aber Reisebusunternehmer und Reisebüros brauchen auch eine Überbrückung. Es wäre doch verrückt, wenn am Ende der Krise, wenn wir alle geimpft sind und wieder reisen, große Reisekonzerne die Direktvermarktung übernehmen und der Mittelstand im Tourismussektor komplett weggefallen ist.

Ihr Vorschlag?

Wüst: Wir müssen die Soforthilfen verlängern und aufbohren auf bis zu 250 Arbeitsplätze, so dass man auch Mittelständlern im Bereich der Industrie damit besser helfen kann. Ganze Lebenswerke von Familienunternehmen, die auch gute, bodenständige Arbeitgeber sind, stehen gerade im Feuer.

Welche Zeitachse haben Sie im Kopf?

Wüst: Die Soforthilfen laufen ja gerade aus. Man müsste sie jetzt verlängern bis Richtung Ende des Jahres. Die Regeln sichern ja ab, dass man niemandem Geld in den Rachen schmeißt, der es nicht nötig hat. Die steuerliche Verrechnung ist jetzt auch wichtig: Unternehmer zahlen Steuern, die aufgrund des guten Vorjahres berechnet sind. Das macht keinen Sinn, wenn sie jetzt keine Gewinne mehr erzielen. Und: Die Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge schlägt auch voll rein. Für einen Monat, in dem ich noch keinen Euro verdient habe, schon mal vorschüssig die Sozialkosten für die Mitarbeiter zu bezahlen, wirkt jetzt brutal. Das müssen wir sofort bereinigen.

Wie?

Wüst: Damit, dass man seine Sozialversicherungsbeiträge Mitte des nächsten Monats für den abgelaufenen bezahlt. Es macht doch keinen Sinn, dass wir mit staatlichen Kreditprogrammen Firmen dafür Geld geben, dass sie uns vorschüssig die Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Der Staat hat sich ein Zwölftel Jahr Kredit genommen. Den muss er jetzt zurückgeben.

Wo sind andere Länder in der Krise in Sachen Wirtschaftsförderung weiter als Deutschland?

Wüst: Es gibt in der EU einen Vorstoß, außergerichtliche Restrukturierung von Firmen möglich zu machen, die die Niederlande und Österreich gerade umsetzen. Das sollten wir hier auch schnell zu Bundesrecht machen. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung werden ausgesetzt, während sich die Firma in dieser Krise restrukturieren kann. Es braucht Luft zum Atmen für Unternehmen. Dazu gehört auch: Nach der Finanzkrise sind die Banken stark reguliert worden, aber es sind alle über einen Kamm geschert worden: Volksbanken und Sparkassen mit ihren ganz eigenen Sicherungssystemen sind behandelt worden wie internationale Großbanken. Hinter vorgehaltener Hand wird schon lange darüber gesprochen, dass da übertrieben wurde. Wir müssen den Banken mehr Luft geben, auch ohne staatliche Unterstützung ihrer Funktion gerecht zu werden, Unternehmen mit Krediten zu versorgen. Damals in der Bankenkrise hat die Realwirtschaft die Banken gerettet, jetzt müssen wir den Banken die Möglichkeit geben, die Realwirtschaft zu retten.

Auch die kommunalen Verkehrsbetriebe ächzen unter der Krise. Sie stehen ohnehin stark unter Innovationsdruck.

Wüst: Der ÖPNV droht zum großen Verlierer der Pandemie zu werden. Und das in einem Moment, wo es endlich mit mehr Investitionen und tollen Innovationen voran geht. Die weggebrochenen Ticketeinnahmen im ÖPNV müssen kompensiert werden. Das sind bundesweit fünf Milliarden Euro, die in Corona in den Kassen der Verkehrsunternehmen fehlen. Bisher haben wir uns mit Liquiditätshilfen beholfen. Wenn wir nicht wollen, dass jetzt massiv ÖPNV-Fahrleistung eingestellt wird, dann muss der Bund reagieren. Sonst sind alle Anstrengungen in Sachen Klimaschutz hinfällig. Die Kommunen wären da als Träger alleine völlig überfordert.

Sie sind NRW-Verkehrsminister. Woran scheitert es?

Wüst: Verkehrsminister Scheuer ist sich mit den Verkehrsministern der Länder einig, das Bundesfinanzministerium steht aber auf der Bremse. Wenn Herr Scholz gerade wieder immer große Zahlen zur Rettung der Kommunen in die Welt bringt, kann er hier mal mit einer kleineren Zahl konkret helfen. Da brauchen wir nicht 57 Milliarden aus wolkigen Interviews, sondern fünf Milliarden auf den Tisch des Hauses.

Die Städte sind überfordert, bei ausbleibenden Einnahmen immer mehr Aufgaben zu übernehmen.

Wüst: In jeder Krise wird das Thema diskutiert. Die Kommunen haben dauerhafte Ausgaben, aber sehr volatile Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Das passt einfach nicht zusammen. Wir als Wirtschaftsflügel der CDU wären bereit, darüber zu diskutieren, wie man den dauerhaften Anforderungen eine dauerhaft sichere Finanzierung gegenüberstellen könnte. Das sage ich sehr bewusst. Für den Mittelstand, das Handwerk, sind Kommunen ja auch Kunden, die in der Lage sein müssen, zu investieren. Da braucht es eine grundlegende Finanzreform. Vielleicht ist die Zeit jetzt wirklich reif dafür. Wichtig ist, dass es weiter einen Steuerbezug zur Wirtschaftskraft vor Ort gibt, damit Kommunen etwas davon haben, Betriebe vor Ort zu halten. Die Initiative muss aus der Kommune kommen.

Viel wurde auch über Ihre Ambitionen gesprochen, für eine eventuelle Nachfolge von Ministerpräsident Laschet infrage zu kommen. Stünden Sie bereit?

Wüst: Für Hypothetisches ist jetzt gerade wirklich nicht die richtige Zeit.

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