Interview mit Nordrhein-Westfalens Europaminister Andreas Krautscheid

Der Minister spricht über die Rolle des Bundeslandes in der EU.

Herr Krautscheid, warum sollen die Bürger eigentlich am 7. Juni zur Europawahl gehen?

Andreas Krautscheid: Es gibt in der Tat ein krasses Missverhältnis zwischen dem Interesse an der Europapolitik und ihrer Bedeutung für unseren Alltag. Es gibt Bereiche - wie etwa bei der Landwirtschaft oder der Umwelt -, die bereits jetzt zu 80 Prozent durch Gesetze aus Brüssel bestimmt werden. Und es werden immer mehr. Deswegen geht es bei der Europawahl um unser aller Interessen. Übrigens: Je höher die Wahlbeteiligung, desto mehr Abgeordnete darf NRW entsenden. Beim letzten waren es 20 bei einer Wahlbeteiligung von 42 Prozent. Das dürften ruhig mehr sein.

Aber die Menschen erleben Brüssel als ein lebensfernes Bürokratiemonster, das die Krümmung der Gurken vorschreibt. Das schreckt doch nur ab.

Krautscheid: Das mit den Gurken stimmt, hat aber einen Hintergrund. Es geht dabei um Handelsklassen. Als die EU die Vorschriften abbauen wollte, gab es einen Aufschrei bei den Landwirten. Aber eines ist wahr: Die Europapolitik muss emotionaler werden, das gilt gerade auch für das Spitzenpersonal. Ich erwarte große Fortschritte, wenn die Ratspräsidentschaft nicht mehr halbjährlich wechselt, sondern über Jahre fest einer Person zugeordnet wird. Jean-Claude Juncker wäre für mich eine Idealbesetzung.

In welcher Form profitiert NRW von der EU?

Krautscheid: In jeder Hinsicht, also wirtschaftlich, kulturell und auch durch zahllose private Erfahrungen. Nur eine Zahl: 70 Prozent unseres Exports gehen in die EU.

Aber ist NRW nicht durch die Osterweiterung vom Herzland zu einer Randregion geworden?

Krautscheid: Geografisch sind wir sicher jetzt nicht mehr direkt in der Mitte, politisch aber schon. Gerade mit den neuen Mitgliedsländern gibt es ganz erfreuliche Entwicklungen mit zweistelligen Wachstumsraten im wirtschaftlichen Bereich.

Wie ist NRW in Brüssel aufgestellt?

Krautscheid: In unserer neuen Vertretung haben wir ein hochspezialisiertes Team, das die relevanten Themen sehr genau beobachtet. Dabei spielen alte Grenzen nicht mehr die große Rolle. Ein Beispiel: In der Frage der Zertifizierung des CO2-Ausstoßes haben wir in NRW mit unseren Kohlekraftwerken durchaus andere Interessen als die Bundesregierung. Also haben wir uns mit Regionen wie Nordfrankreich, Belgien oder Österreich zusammengetan, die gleiche Interessen haben. Wir haben uns zwar nicht zu 100 Prozent durchgesetzt, aber zusammen waren wir stärker als alleine.

NRW wollte als erstes Bundesland einen Staatsvertrag mit anderen Staaten abschließen - in dem Fall mit Benelux. Dagegen gab es verfassungsrechtliche Bedenken. Wie ist der Stand der Dinge?

Krautscheid: Wir haben eine politische Erklärung abgegeben. Als ersten Schritt werden wir einen NRW-Vertreter im Generalsekretariat der Benelux-Staaten haben.

Mit welchem Ziel?

Krautscheid: Wir wollen schnelle Vereinbarungen über die Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen, bei Vereinbarungen beim Feinstaub und Gesundheitsleistungen.

Brüssel ist NRW bei der WestLB reingegrätscht und verlangt einen Verkauf. Wie selbstständig ist NRW überhaupt noch?

Krautscheid: An dem Beispiel ist in der Tat zu erkennen, wie weit die Befugnisse der EU gerade beim Wettbewerbsrecht gehen. Aber es gibt auch Bereiche, die national bleiben, wie etwa die Sicherheitspolitik, die Bildung und Steuern.

Sind Sie für einen Beitritt der Türkei zur EU?

Krautscheid: Nein, wir sind nicht so weit, die sind nicht soweit.

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