Interview mit Integrationsminister Joachim Stamp „Ich kämpfe für beitragsfreie Kitas“

Düsseldorf · Joachim Stamp blickt als Integrationsminister auf ein turbulentes Jahr zurück – nicht nur wegen Sami A. Jetzt steht die Kibiz-Reform an.

 Integrations- und Familienminister Joachim Stamp im Gespräch mit den WZ-Redakteuren Juliane Kinast und Ekkehard Rüger.

Integrations- und Familienminister Joachim Stamp im Gespräch mit den WZ-Redakteuren Juliane Kinast und Ekkehard Rüger.

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Herr Stamp, wie blicken Sie auf das Jahr 2018 zurück?

Joachim Stamp: Es war ein sehr anstrengendes Jahr, aber auch ein durchaus erfolgreiches, weil wir viel angestoßen haben. Wir sind in intensiven Verhandlungen mit den Kommunalen Spitzenverbänden zur Reform des Kinderbildungsgesetzes. Wir sind dabei, so weit wir länderseitig können, mehr Ordnung in die Asyl- und Einwanderungspolitik zu bringen. Ich möchte auch weiterhin konsequent gegen Integrationsverweigerer, Kriminelle und Gefährder vorgehen. Allein 2018 haben wir acht Gefährder zurückgeführt. Auf der anderen Seite wollen wir echte Bleiberecht-Chancen schaffen für gut Integrierte – auch gut integrierte Geduldete. Dazu bereite ich einen umfassenden Erlass vor, den wir Anfang des Jahres vorstellen. Er soll Teil eines großen Pakets werden, neben einer Aufwertung der Arbeit der Ausländerbehörden vor Ort und einer besseren Vernetzung mit der Integrationsarbeit. Auch dazu gibt es noch Gespräche mit den Kommunalen Spitzenverbänden.

Ambitionierte Ziele für ein Bundesland allein ...

Stamp: Das große Problem ist, dass vom Bund zu wenig kommt. Der Versuch, mit Innenminister Horst Seehofer eine vernünftige Politik zu entwickeln, ist in meinen Augen gescheitert. Deshalb fordere ich, dass sich Bund, Länder und Gemeinden zu einem nationalen Migrationsgipfel treffen, um die großen Themen abzuräumen – etwa die Neuorganisation der Integrationskurse und die Verfahrensbeschleunigung.

Und das ist bislang mit dem Bundesinnenminister nicht drin?

Stamp: Nein. Aber wir sind jetzt in ersten Gesprächen mit Schleswig-Holstein über eine gemeinsame Agenda. Vielleicht fangen wir mit zwei Ländern einfach mal an, laden den Bund ein. Und wenn da nichts kommt, gehen wir eben über den Bundesrat.

Im Fall Sami A. – wo Sie schon Enttäuschung über fehlende Unterstützung durch Seehofer geäußert haben – hat es ja doch noch geklappt mit der sogenannten Verbalnote.

Stamp: Ja, weil sich das Bundeskanzleramt eingeschaltet hat, nachdem wir von Herrn Seehofer und Herrn Maas keinerlei Unterstützung bekommen haben. Dadurch ist dann Bewegung in die Sache gekommen.

Würden Sie rückblickend, nachdem Sami A. nicht zurückgeholt werden muss, sagen, Sie haben in dem Fall doch alles richtig gemacht?

Stamp: Ich bin sehr vorsichtig, an dieser Stelle selbstgerecht zu sein und zu sagen: Ich habe keine Fehler gemacht. Mir ist sehr daran gelegen, mit den führenden Vertretern der Justiz in Nordrhein-Westfalen das Gespräch zu suchen – wenn das Verfahren abgeschlossen ist, sonst würde man mir Einflussnahme unterstellen. Ich will diskutieren, was wir hätten anders machen sollen. Mir ist es ja zu keinem Zeitpunkt darum gegangen, Gerichte zu täuschen, sondern allein darum, dass die Anwälte von Sami A. nicht realisieren, dass sie den vollen Rechtsschutz nicht gezogen haben. Ich möchte an dieser Stelle aber betonen, dass die Frankfurter Anwältin von Sami A., auch wenn wir in dem Verfahren auf unterschiedlichen Seiten standen, jetzt meine volle Solidarität hat. Mich erschüttert es zutiefst, dass dort möglicherweise aus Polizeikreisen eine Anwältin und vor allem ein Kind bedroht werden – das muss lückenlos aufgeklärt werden.

Sie sagen, es ging um die Anwälte, aber auch dem Gericht wurde der Abschiebetermin nicht genannt. War das richtig?

Stamp: Der Fall war sehr speziell. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir das Verfahren noch einmal erörtern. Wir sind uns, denke ich, alle einig, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen darf und das Vertrauen zwischen Exekutive und Judikative wichtig ist.

Wie haben Sie diese Zeit mit Rücktrittsforderungen und Anfeindungen denn persönlich erlebt?

Stamp: Das war für mich – das sage ich ganz ehrlich – eine brutale Zeit. Auch für meine Familie. Wir haben in meinem Ministerium jede Anstrengung unternommen, aber ich habe mich sehr im Stich gelassen gefühlt vom Bund. Andererseits habe ich mich über viel Zuspruch von Bürgern, aber auch Parteifreunden und sogar von Parlamentariern aus der Opposition gefreut. Das hat gut getan. Und auch das bei aller Kritik differenzierte Bild in den Medien, die auch darauf hingewiesen haben, dass ich nicht nur der harte Hund bin, sondern gleichzeitig für ein Bleiberecht für gut integrierte Geduldete kämpfe.

Bei der Präsentation Ihrer Kampagne „#IchDuWirNRW“ für Integration und Zusammenhalt haben Sie jüngst gesagt, Sie wollten auch eine Wertedebatte anstoßen. Das Wutbürgertum hat ja schon eine gesellschaftliche Gegenreaktion ausgelöst – braucht diese noch eine weitere Ermunterung?

Stamp: Noch viel mehr Ermunterung. Wenn Sie sich anschauen, welche Desinformationskampagnen etwa zum UN-Migrationspakt laufen und wie weit sie tragen, das ist schon erschütternd. Die offene Gesellschaft muss da streiten – gerade in NRW, wo die Einwanderer über Jahrzehnte einen wichtigen Beitrag zum Wohlstand von heute geleistet haben.

Sie haben sich in der Vergangenheit immer wieder auch offen gegen populistische Äußerungen anderer Politiker gestellt. Sehen Sie einen Trend in Deutschland?

Stamp: Es geht immer darum, situativ schnell Schlagzeilen zu produzieren – weil viele Menschen, vor allem auf mobilen Endgeräten, nur noch Überschriften lesen und man sich nur mit knappen Botschaften behauptet. Davon halte ich nichts, ich finde es sogar gefährlich. Etwa die Ankündigung meines bayerischen Amtskollegen, Gewalttäter nach Syrien abzuschieben. Das klingt erst mal gut. Aber aufgrund der dortigen Lage wird das kein Gericht in Deutschland akzeptieren. Und wenn die Populisten dann in einem halben Jahr fragen, wie viele Straftäter habt ihr denn nach Syrien abgeschoben, würde die Antwort lauten: null. Damit spielt man ihnen nur in die Hände. Deswegen dürfen wir keine Erwartungen wecken, die wir im Moment nicht einlösen können.

Sind Sie zufrieden mit dem Entwurf für das Bundeseinwanderungsgesetz?

Stamp: Nein. Es hilft nicht, ein isoliertes Gesetz auf das bestehende System zu setzen. Wir brauchen eine Trennung zwischen denen, die individuell verfolgt werden, den Kriegsflüchtlingen und denen, die kommen wollen und die wir uns wie jedes andere Einwanderungsland aussuchen können – in diesem Punkt ist der Entwurf des Bundes noch viel zu bürokratisch. Vor allem brauchen wir insgesamt ein in sich konsistentes Einwanderungsrecht. Ein Beispiel: Derzeit haben anerkannte Flüchtlinge ein privilegiertes Recht auf Familiennachzug – jemand, der hier ganz normal arbeitet, nicht. Auch deshalb ist es für viele immer noch attraktiver, zu versuchen, es über das Asylrecht nach Deutschland zu schaffen. Da muss aber klar unterschieden werden. Das ist eine Herausforderung und das muss aus einem Guss entwickelt werden.

Aber vom Bund entwickelt werden?

Stamp: Ja, aber wir haben schon mal angefangen als Land. Wir können kein komplettes Gesetzbuch schreiben. Aber wir können schon ausarbeiten, in welche Richtung es gehen könnte – das werden wir im Laufe des Jahres vorstellen und über den Bundesrat als Entschließungsantrag einbringen.

Was Sie ganz aktuell in NRW auf den Weg gebracht haben, ist die Verschärfung der Abschiebehaft. Sie haben ja das Problem, dass dort Gefährder und Straftäter neben vollkommen unbescholtenen Menschen sitzen. Glauben Sie, dass Sie dieses Spannungsfeld aufgelöst bekommen?

Stamp: Wir können die Situation etwas verbessern, indem wir eine straffere Hausordnung einführen, die sich aber von der Strafhaft noch unterscheidet. Wir mussten das machen, um es auch für das Personal handhabbar zu machen. Es ist sehr schwierig, überhaupt Mitarbeiter für eine solche Einrichtung zu finden. Auch das gehört für meine Begriffe auf einen Migrationsgipfel: Kann man hier unterschiedliche Formen der Unterbringung schaffen? Früher hatten wir in der Abschiebehaft vor allem Menschen, die sich ihrer Rückführung entziehen wollten. Das hat sich massiv verschoben, es sind jetzt Gefährder dabei, Schwerstkriminelle, die ihre Strafe abgesessen haben. Das ist eine ganz andere Herausforderung, die ich auch gern mit dem Bund besprechen würde.

Ein Blick auf das Großprojekt 2019: Auch wenn das neue Kibiz noch nicht steht, kann man denn schon absehen, ob es beim Ziel der einheitlichen Kitabeiträge im Land vorangehen wird?

Stamp: Wir haben immer gesagt: Zuerst müssen wir die Trägervielfalt retten, dann die Qualität steigern und die Flexibilisierung in den Randzeiten erreichen. Wenn wir es dann hinbekommen, etwas an den Beiträgen zu machen, wäre ich sehr froh. Nur mit dieser Frage könnten wir die Gespräche so überfrachten, dass sie komplett zusammenbrechen. Aber ja: Es widerspricht meinem Gerechtigkeitsempfinden, wenn die Fleischereifachverkäuferin in Duisburg Beiträge zahlt, der Professor in Düsseldorf aber nicht.

Eine große Hürde, in den Erzieherberuf einzusteigen, ist die verhältnismäßig lange Ausbildungszeit ohne Vergütung. Wollen Sie im Kibiz auch die praxisorientierte Ausbildung mit Bezahlung stärken?

Stamp: Ja, wir sind dabei zu diskutieren, wie wir die Einrichtungen und Auszubildenden da unterstützen können. Wir haben zu wenige Erzieher und müssen sehen, dass wir den Beruf attraktiver machen. Das werden wir aber auch erreichen, indem wir die Qualität in den Kitas erheblich steigern.

Etwa im Sinne eines höheren Personalschlüssels in den Gruppen?

Stamp: Ja, auch in diesem Sinne. Da werden wir etwas machen.

Die beitragsfreie Kita – kann man zumindest grob absehen, wann es so weit sein könnte?

Stamp: Ich kämpfe dafür, aber einen kompletten Systemwechsel bekommen wir so schnell nicht hin. Zumal wir ja auch beim Platzausbau weiterhin viel tun werden. Wir haben noch einmal 30 Millionen Euro zusätzlich zu den bereits im Haushalt vorgesehenen 94 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, so dass wir alle Anträge für 2019 bewilligen und so den Stau in den Kommunen auflösen können.

Also gar keine Vorausschau, ob die Beitragsfreiheit eher diese Legislatur oder in zehn oder 20 Jahren kommt?

Stamp: Das wird davon abhängen, ob man langfristige Verabredungen mit dem Bund hinbekommt. Wenn wir Mittel nur befristet bekommen wie im Gute-Kita-Gesetz jetzt, ist generelle Beitragsfreiheit für uns in NRW mit unserem Finanzrahmen nicht ohne Weiteres möglich.

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