#ldk16nrw Grüne NRW: Showdown an der Düppelstraße

Volker Beck wird dem 19. Deutschen Bundestag nicht mehr angehören. Der Kölner Grüne verlor am Freitagabend in Oberhausen die Kampfkandidatur um einen aussichtsreichen Listenplatz für die Wahl im Herbst 2017. Die Krefelderin Ulle Schauws hat es dagegen auf Platz 11 der Liste geschafft.

#ldk16nrw: Grüne NRW: Showdown an der Düppelstraße
Foto: Ulli Tückmantel

Köln/Berlin. Die Abgeordneten-Karriere Volker Becks endet am Freitagabend gegen 21.40 Uhr an der Düppelstraße in Oberhausen. Beck steht rauchend vor der Luise-Albertz-Halle, wo die Landesdelegierten-Konferenz der NRW-Grünen tagt, den Blick starr auf das Handy gerichtet. Beck hat gerade die Abstimmung um Listenplatz 12 verloren, mit 66 Stimmen, das entspricht 24,44 Prozent. Vor allem Delegierte aus Westfalen und dem ländlichen Raum, aber nicht nur sie, stimmen für Friedrich Ostendorff, einen Landwirt aus Bergkamen-Weddinghofen, der die Grünen bereits von 2002 bis 2005 und wieder seit 2009 im Bundestag vertritt. Volker Beck könnte jetzt noch um Platz 14 kandidieren. Er schüttelt den Kopf. Das war’s.

Nach Becks Niederlage überschlagen sich im Netz hetzerischer Jubel von rechtsaußen und bedauernde Betroffenheit von vielen Seiten. Jenseits aller Polarisierung genießt Beck auf seinen politischen Themenfeldern hohes Ansehen. Bevor der Abstimmungs-Marathon in Oberhausen losgeht, gibt es einen kurzen Düsseldorfer Facebook-Austausch zwischen Stefan Engstfeld, der dem grünen Tagungspräsidium angehört, und dem SPD-Abgeordneten Andreas Rimkus: „Und stellt ihr Volker Beck wieder auf?“, fragt Rimkus, „ein toller Kollege.“ Na, das werde die Versammlung in ihrer Weisheit entscheiden, antwortet Engstfeld. 188 Stimmen für Bauer Ostendorff, das sind 69,63 Prozent. Die grüne Landjugend applaudiert stehend bei seiner Rede, an deren Qualität es kaum liegen kann.

Am Samstagvormittag gibt Beck eine schriftliche Erklärung ab. Er dankt den Unterstützern, die ihm den Rücken gestärkt hätten; das habe ihm Mut gemacht zu kämpfen. „Unseren gemeinsamen Anliegen werde ich die Treue halten und mich weiter nach meinen Möglichkeiten für die Gleichheit der Verschiedenen und eine Politik des Respekts einsetzen“, schreibt Beck. Es folgt der Dank an die Partei. Aber auch ein Foto mit zwei Zeilen aus dem Talmud: „Es ist uns aufgetragen, am Werk zu arbeiten, aber es ist uns nicht gegeben, es zu vollenden.“ Es ist dieses Unvollendete, das Beck — nach inzwischen zehnjähriger Ankündigung des Rückzugs, den anderen in der Partei längst vollzogen haben — noch einmal in den Ring eines Listenverfahrens treibt, das das anderer Parteien an Absurdität noch um einiges übersteigt.

Wie bei allen Parteien, machen bei den NRW-Grünen die Bezirksverbände Vorschläge für die Landesliste, die dann mit den Listen aller anderen Landesverbände zu einer Bundesliste kombiniert wird. Beck ist Kölner, Köln gehört zum Grünen-Bezirksverband Mittelrhein. Dieser besteht aus zwölf Kreisverbänden — die für die Landesliste gemeinsam ganze zwei Vorschläge abgeben. Bei CDU, SPD und FDP wären diese Vorschläge zwar nicht formal, aber in der Praxis bindend; das Regional-Prinzip sichert den inneren Parteifrieden. Bei den Grünen ist es jedoch jedem Einzelbewerber auch ganz praktisch erlaubt, sich gegen dieses Regionalitäts-Prinzip bei der Abstimmung der Landesdelegiertenkonferenz selbst ins Rennen zu bringen.

Das kann bei den Grünen klappen, wenn die Delegierten eine Kandidatur und die damit verbundenen Themen wichtiger als die Herkunft finden. Ein wichtiges Pfund, das für Volker Beck spricht, wie er vor der Wahl in zahlreichen Interviews betont, auch mit unserer Zeitung. Allerdings: Beck ist bei den NRW-Grünen vielleicht noch die prominenteste Stimme für die Gleichheit der Verschiedenen, für sein Credo, dass er den Delegierten inbrünstig zuruft: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Recht geboren!“ Dafür stehen auf der NRW-Liste aber auch andere Kandidaten, die sich über Kampfabstimmungen vor Beck auf die Liste geschoben haben.

Zu ihnen gehört die Krefelderin Ulle Schauws, die seit 2013 den Wahlkreis Krefeld/Wesel II im Bundestag vertritt und vor allem für Frauen-, Kultur- und Queer-Politik steht. Sie sagt das alles nur etwas direkter als Beck: „Ich spreche über Freiheit und Sex“, kündigt sie den Delegierten an und verspricht den Kampf für „volle Gleichberechtigung ohne Kompromisse“. Beim Kampf um Platz 9 unterliegt sie der Münsteraner Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, die für Gesundheits- und Sportpolitik steht, mit nur 108 von 268 Stimmen; das macht 40,3 Prozent. Bei der Kampfabstimmung gegen die Hernerin Sabine von der Beck um Platz 11 reicht es dann: 189 Stimmen, 71,32 Prozent.

Mit ihr und dem Essener Kai Gehring auf Platz 10 stehen damit bereits drei Politiker weit oben auf der Liste, die Lesben- und Schwulenrechte zu ihren Themen zählen, als Beck gegen den einzigen aussichtsreichen Landwirtschafts- und Tierrechts-Politiker antritt. Denn die Landesdelegierten-Konferenz hat schon ein etwas durchsichtiges Manöver (zumindest erscheint es wie eins) scheitern sehen: Sven Lehmann, wie Beck ein Kölner aus dem Bezirksverband Mittelrhein, ebenfalls LGBTI-Aktivist und nebenbei der männliche Part des NRW-Vorsitz-Duos, ist für Platz 4 der Liste gesetzt — und kandidiert trotzdem gegen Oliver Krischer, den stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion aus Düren um Platz 2, was mit 47 Prozent knapp scheitert. Für Lehmann bleibt es ohne Gegenkandidat bei Platz 4 — denn Volker Beck hat mehrfach versichert, gegen Lehmann werde er nicht kandidieren.

Und so nimmt der Abend seinen Lauf, der für Volker Beck auch mit einer kämpferischen Rede nicht mehr zu drehen ist. Gerade jetzt, wo der Hass von rechts auch in Morddrohungen gipfele, biete er der Partei seine Hartnäckigkeit und Dickköpfigkeit an, sagt Beck, der einräumt: „Manchmal bin ich eine Nervensäge.“ Aber: „Ich stehe an Eurer Seite, wenn wir die Freiheit und die Straße gegen die Nazis verteidigen.“ Und ja, er bitte auch mit seinen Fehlern um Vertrauen. Doch es sind nicht die Fehler, sondern Becks Umgang mit ihnen, die bei den Grünen viele an ihrem Polit-Star zweifeln lassen.

Im März ist Beck in Berlin von der Polizei mit 0,6 Gramm einer Substanz erwischt worden, die mutmaßlich die Droge Crystal Meth gewesen sein soll — Beck sagt dazu nichts. Das Verfahren ist wegen der geringen Schuld gegen eine Geldbuße von 7000 Euro längst eingestellt, die Zweifel sind geblieben: Wieso diese Droge, ist er abhängig, wie konnte er nur — Beck sagt dazu nichts, sondern beruft sich auf die Rechte, die jedem Deutschen zustehen. Sein einziges Zugeständnis ist der Verzicht auf das Amt als innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Einige in der Partei sehen ein Muster: Mit der Pädophilie-Affäre 2013 (er hatte in einem Buch für eine „Entkriminalisierung“ votiert, wenn Erwachsene Sex mit Kindern haben) sei er trotz klarer Distanzierung ähnlich ungeschickt umgegangen.

Auf die Frage, was er eigentlich mache, wenn es nichts werde mit der Kandidatur, hat Volker Beck wenige Stunden vor der Landesdelegiertenkonferenz im Interview mit der Westdeutschen Zeitung geantwortet: „Bundestag ist kein Selbstzweck. Es gibt ein Leben nach dem Mandat.“ Mit den Grünen, für die er seit 1994 im Bundestag sitzt, wird er nicht brechen. Am Samstagnachmittag spricht ihm die NRW-Spitzenkandidatin Britta Haßelmann im Namen „von uns allen“ für seine Arbeit ganz großen Dank aus.

Volker Beck könnte sich nun noch in Köln um eine Direktkandidatur bewerben, aber dafür müsste er den Wahlkreis dann komplett gewinnen. Das kommt in Kreuzberg vor, in Köln eher nicht. Und Friedrich Ostendorff, der Landwirt auf Platz 12 der Liste? Der darf hoffen — und wird zugleich zittern. Denn 2005 stand er schon einmal auf Platz 12 der Liste. Und musste zuhause bleiben, weil das Bundesergebnis der Grünen für ein Abgeordneten-Mandat nicht reichte.

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Foto: Ulli Tückmantel
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