NRW Frühwarnsystem gegen Islamismus in der JVA Remscheid

Seit einem Jahr setzt die NRW-Justiz zur Vermeidung einer Radikalisierung hinter Gittern auf Islamwissenschaftler und ihre Schulungen.

NRW: Frühwarnsystem gegen Islamismus in der JVA Remscheid
Foto: Roland Keusch

Remscheid. Mustafa Doymus schließt die Tür der Zelle 11 auf und gibt Ali E. dem Medieninteresse preis. Innerhalb weniger Sekunden drängen Kamerateams und Fotografen in den engen Raum der Abteilung C 2 im C-Haus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Remscheid. In mehreren Schüben kämpfen sie um Bilder einer gestellten Gesprächssituation zwischen einem Islamwissenschaftler und einem 27-jährigen muslimischen Gefangenen.

Einen besseren Eindruck, um was es geht, würde man wahrscheinlich alle 14 Tage freitags ab 16 Uhr im Freizeitraum A II gewinnen. Im Schaukasten der JVA hängt die entsprechende „Einladung zur Islam-Runde für muslimische oder am Islam interessierte Inhaftierte“ aus. Dort könne man gemeinsam mit einem muslimischen Wissenschaftler aktuelle religiöse Themen besprechen, wird auf dem DIN-A4-Zettel angekündigt.

Das klingt alles so schiedlich-friedlich. Aber das Gesprächsangebot ist nur ein kleiner Baustein in dem NRW-weiten Konzept, eine Radikalisierung muslimischer Gefangener im Strafvollzug möglichst zu vermeiden oder in den Fällen, wo eine Prävention zu spät kommt, eine Umkehr zu erreichen. Ihn habe hellhörig gemacht, sagt NRW-Justizminister Thomas Kutschaty, „dass sich die Attentäter auf die Redaktion ,Charlie Hebdo’ und später auch die Attentäter von Paris in einem französischen Gefängnis radikalisiert haben sollen“.

Jetzt ist Kutschaty nach Remscheid gekommen, um nach einem Jahr eine erste Bilanz zu ziehen. Damals sind die Islamwissenschaftler Luay Radhan und Mustafa Doymus eingestellt worden. Die beiden 37-Jährigen haben die Aufgabe, von hier aus alle landesweit 36 Haftanstalten im Blick zu haben, die Justizangestellten zu schulen und Konzepte gegen eine Radikalisierung zu entwickeln.

3500 der derzeit gut 16 000 Gefangenen in NRW haben angegeben, Muslime zu sein. Der Anteil der ausländischen Strafgefangenen wächst seit Jahren — auf derzeit 36 Prozent. Waren in der Vergangenheit darunter vor allem Gefangene türkischer Abstammung, ist inzwischen die Zahl der arabischen Insassen deutlich gestiegen. Noch gebe es keine Hinweise, dass es in NRW-Gefängnissen zu religiöser Radikalisierung gekommen sei, sagt Kutschaty. Er will, dass das so bleibt.

„Bei den Gefangenen gibt es eine hohe Gesprächsbereitschaft“, schildert Radhan seine Erfahrungen aus dem ersten Jahr. Und spricht von dem Ziel, die Gefangenen „immun zu machen gegen extremistische Verführer“.

Dazu soll auch das ehrenamtliche Engagement der umliegenden Gemeinden in den Anstalten gestärkt werden — um auf diesem Weg muslimische Gesprächspartner für die Gefangenen zu gewinnen. „Und wir wollen analog zur Gefängnisseelsorge der christlichen Kirchen eine islamische Seelsorge etablieren.“ Das geht über den bisherigen Einsatz der Imame hinaus, die oft nur zum Freitagsgebet erscheinen. Aktuell werden 63 von 94 Gefängnis-Imamen vom türkisch-islamischen Dachverband Ditib gestellt. Nach den Spitzelvorwürfen werden sie derzeit einer Überprüfung durch den Verfassungsschutz unterzogen.

Die Mehrzahl der Muslime in den Gefängnissen zeigten keine erkennbaren Radikalisierungsmerkmale, sagt Doymus. Aber gerade Jugendliche „in der orientierungslosen Phase“ seien gefährdet. Wenn plötzlich der Kontakt zu Nichtmuslimen gemieden oder ideologisch aufgeladene Schriften bestellt werden, sind er und sein Kollege gefordert.

Radhan und Doymus werden dabei nicht allein bleiben. Zwei weitere Islamwissenschaftler sind schon eingestellt, dazu kommen die im vergangenen Jahr bewilligten Stellen für 45 Integrationshelfer, die seit Jahresbeginn im Dienst sind. Knapp 1000 Justizbedienstete haben inzwischen die Fortbildung durchlaufen.

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