Der Anschlag von Berlin Fall Amri: Kleine Lücken — aber anderswo

Gutachter: Nur eine Chance auf U-Haft gab es, allerdings in Baden-Württemberg. Minister Jäger äußert sich zu „LKA-Brandbrief“.

 Wies die Kritik zurück, er habe einen „Brandbrief“des LKA vom März 2016 zur großen GefährlichkeitAmris bislang verschwiegen: NRW-InnenministerRalf Jäger (SPD). Morgen sagt er vor dem Ausschussals Zeuge aus. Foto: dpa

Wies die Kritik zurück, er habe einen „Brandbrief“des LKA vom März 2016 zur großen GefährlichkeitAmris bislang verschwiegen: NRW-InnenministerRalf Jäger (SPD). Morgen sagt er vor dem Ausschussals Zeuge aus. Foto: dpa

Foto: Federico Gambarini

Düsseldorf. Der entscheidende Satz im Gutachten des Sonderermittlers Bernhard Kretschmer zum Fall Anis Amri steht gleich auf Seite vier: „Festzuhalten ist, dass hier keine Mängel festzustellen waren, die entweder erheblich waren oder die das spätere Anschlagsgeschehen beeinflusst haben.“ Mögliche Lücken benennt der Strafrechtsprofessor zwar — aber nicht in NRW.

Für viel Kritik hatte gesorgt, dass Anis Amri trotz diverser Strafverfahren auf freiem Fuß war. Kretschmer hat all diese Ermittlungen geprüft und meint: „Da bleibt nicht viel übrig.“ In vielen Fällen habe es keinen hinreichenden Tatverdacht gegen den 24-Jährigen gegeben. Im Fall des Leistungsbetrugs mit seinen diversen Identitäten — Kretschmer spricht statt 14 tatsächlich von sechs — sei nur ein Schaden von 162,80 Euro nachzuweisen gewesen: „Dafür geht niemand ins Gefängnis“, so der Sonderermittler. Und auch für die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat gab es keine verdichteten Hinweise.

Einzig bei Amris Ausreiseversuch mit einer gefälschten ID-Karte im Juli 2016 hat es in Baden-Württemberg laut Kretschmer eine „vage Aussicht“ für einen Haftbefehl gegeben. Über die Ermittlungen des Generalstaatsanwaltes in Berlin gegen Amri wegen versuchter Anstiftung zum Mord kann er indes nicht viel sagen: Von dort habe er auf seine Bitte um Akteneinsicht nicht einmal eine Antwort erhalten.

Der Sonderermittler sieht zwar Gründe, aus denen Amri in Abschiebehaft hätte genommen werden können. Allerdings sei die Drei-Monats-Frist ein „Hafthindernis“ gewesen — länger darf ein Ausländer in der Regel bis zu seiner Ausweisung nicht hinter Gittern bleiben. Es sei „völlig ausgeschlossen“, dass Amri innerhalb der Frist hätte abgeschoben werden können.

Um eine Gefahr abzuwehren, kann ein Ausländer nach Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes abgeschoben werden — eine Möglichkeit, die im Zusammenhang mit Amri oft diskutiert wurde. Laut Kretschmer „ein durchaus gangbarer Weg“. Allerdings hätte man, um eine solche Anordnung zu rechtfertigen, Daten aus den verdeckten Ermittlungen des Generalbundesanwalts, Aussagen von Vertrauenspersonen, benötigt. Laut Kretschmer bemühte sich die Sicherheitskonferenz (Siko) NRW auch darum — aber ohne Erfolg. Und dies sei auch nachvollziehbar. Ohnehin hätte die Anordnung die tatsächliche Abschiebung Amris nicht beschleunigt, so lange Tunesien dessen Staatsbürgerschaft leugnete.

Die Voraussetzungen für die Abschiebungsanordnung werden auf Bundesebene derzeit angepasst, der Paragraf soll leichter anwendbar sein. „Das begrüßen wir ausdrücklich“, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), der sich am Montag in Düsseldorf äußerte. Zudem wies er Kritik zurück, er habe einen „Brandbrief“ des LKA vom März 2016 zur großen Gefährlichkeit Amris bislang verschwiegen: „Dieser Vermerk ist nicht neu“, erklärte er. Jäger wird morgen als Zeuge im Untersuchungsausschuss aussagen.

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