NRW Die Seelsorger der Abgeordneten

Thomas Weckelmann und Antonius Hamers stehen an der Spitze des evangelischen und des katholischen Büros NRW. Aber die beiden Theologen sind nicht nur Interessenvertreter.

NRW: Die Seelsorger der Abgeordneten
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Es ist Donnerstagmorgen Mitte Dezember. In der Bürgerhalle, wie das Foyer des NRW-Landtags heißt, ist eine Bühne aufgebaut, darauf ein schlichter Altar mit Holzkreuz. Abgeordnete füllen die Sitzreihen der jährlichen Weihnachtsandacht. Landtagspräsidentin Carina Gödecke ist gekommen, auch Arbeitsminister Rainer Schmeltzer. Schließlich hat der Chor seines Ministeriums zusammen mit dem Knabenchor Hösel und Kantor Thorsten Göbel aus Oberkassel die musikalische Gestaltung übernommen.

Die letzten Zeilen des Weihnachtslieds „Macht hoch die Tür“ sind noch nicht verklungen, da betritt eine Abordnung Pfadfinder die Bühne. Einer trägt eine Laterne mit dem Friedenslicht in der Hand, ursprünglich entzündet in der Geburtsgrotte in Bethlehem. Es zeige die „Verbundenheit mit allen Menschen, die den Frieden suchen“, sagt Antonius Hamers, nimmt das Licht entgegen und stellt es auf dem Altar ab. Später, im ersten Teil der Predigt, wird Thomas Weckelmann sagen: „Das Kind kommt, damit niemand mehr in Angst leben muss.“ Und Hamers wird in seinem Part ergänzen: „Das ist die Sinnspitze der Weihnachtsbotschaft: Gott wird Mensch, damit wir Menschen Heimat finden in Gott.“

Das ist die seelsorgliche Seite der beiden Theologen. Der Arbeitsalltag von Hamers (47, katholisch) und Weckelmann (43, evangelisch) kennt noch eine andere Seite: Als Leiter des NRW-Büros ihrer jeweiligen Kirche sind sie Interessenvertreter — der eine für die Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn, der andere für die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen und die Lippische Landeskirche. In dieser Funktion halten sie Kontakt zur Landespolitik, intervenieren, geben Stellungnahmen ab, sind im Gespräch mit den anderen Verbänden und Organisationen, die sich ebenfalls rund um den Landtag angesiedelt haben. Klassische Lobbyarbeit.

Seelsorger auf der einen Seite, Interessenvertreter auf der anderen — eine Gratwanderung. Aber ein wirkliches Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Aufgaben mag Hamers nicht entdecken: „Ich habe mich in Sachauseinandersetzungen noch nicht so mit Abgeordneten gefetzt, dass der seelsorgliche Kontakt gestört gewesen wäre.“ Er hoffe, das gelte auch aus Sicht der Abgeordneten. Schließlich gebe es auch eine Erwartung des Landtags, dass sie beide als Seelsorger wirkten.

Eine Einschätzung, die Landtagspräsidentin Gödecke bestätigt: „Der Landtag ist den beiden christlichen Kirchen sehr dankbar, dass sie regelmäßig vor Plenarsitzungen ökumenische Andachten anbieten. Viele Abgeordnete und auch ich persönlich empfinden diese Andachten als wohltuende Kraftquelle und Ruhepol im oft hektischen Parlamentsbetrieb.“

Zwei Wochen vor der Weihnachtsandacht, wieder ein Donnerstag, es ist Sitzungswoche. Schon um 8 Uhr hatten sich die beiden Theologen mit interessierten Landespolitikern zum Frühstück getroffen. Jetzt ist es eine Stunde später und die 41 Sitzplätze im 2011 eröffneten Raum der Stille des Landtags sind zu drei Vierteln besetzt. Der interreligiös nutzbare und fensterlose Raum ist hell und schlicht, nur ein gelbes und ein grünes Wandkissen des mit der künstlerischen Gestaltung beauftragten Akademieprofessors Gotthard Graubner schmücken die Wände.

Im monatlichen Wechsel gestalten Hamers und Weckelmann hier Andachten. Würde in diesem Raum abgestimmt, die CDU hätte meist die Mehrheit. Aber mit Ausnahme der Piraten finden sich Vertreter aller Fraktionen ein — noch. Wie sich das Verhältnis zwischen Parlamentariern und Kirchenvertretern entwickelt, wenn nach der Wahl im kommenden Mai möglicherweise auch Linke und AfD im Landtag vertreten sind, ist eine offene Frage.

Nach der Andacht steht man noch bei einer Tasse Kaffee oder Tee zusammen. „Etliche Abgeordnete nehmen uns eher wahr als ihre Ortspfarrer“, sagt Weckelmann. Sein Gegenüber Hamers spricht von einem „sehr großen Vertrauensvorschuss“. Da kann eine kurze Nachfrage nach dem Wohlbefinden schon mal zu Gesprächen über die eben verstorbene Ehefrau führen. „Aber wir werden auch um politische Einschätzungen gebeten, denn nicht alle teilen in jeder Frage die Meinung ihrer Fraktion“, sagt Hamers. Manchmal verschafft sich so auch der Frust Luft, denn der Umgang unter Parteifreunden ist nicht immer zimperlich. Das für diese Offenheit nötige Vertrauen entsteht nicht allein durch den Hinweis auf das Seelsorgegeheimnis, es muss erst wachsen.

Wahrscheinlich wird es auch dadurch befördert, dass Hamers und Weckelmann sich gegenseitig vertrauen. Die beiden Büros arbeiten eng zusammen; wo es geht, suchen die Kirchen nach gemeinsamen Positionen. Das gelingt nicht immer, aber in den meisten Fällen ist beiden Seiten klar: Wenn die Kirchen es schon nicht schaffen, mit einer Stimme zu sprechen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, kirchliche Positionen in politische Entscheidungen einfließen zu lassen.

Wobei die Kirchenvertreter ihre Aufgabe nicht nur darin sehen, ein Maximum an kirchlichen Interessen durchzusetzen. Sie verstehen sich umgekehrt auch als Interessenvertreter der Politik gegenüber ihren Kirchen. „Das sind oft sehr schwierige politische Entscheidungsprozesse und komplizierte Abwägungen. Und da haben wir auch eine Verantwortung, innerhalb der Kirche um Verständnis zu werben, wenn sich unsere Positionen nicht durchsetzen konnten“, sagt Weckelmann. Und Hamers erzählt, dass seine schon vor Amtsantritt hohe Meinung von den allermeisten Politikern durch die persönliche Begegnung und Beobachtung noch gewachsen sei. „Viele betreiben Politik mit lauteren Absichten und das hat meinen Respekt und meine Hochachtung.“ Das von außen oft nicht wahrnehmbare hohe Engagement der Abgeordneten hat beide nachhaltig beeindruckt.

Auch diese Haltung kann Vertrauen befördern und Türen für Seelsorge öffnen. „Darüber reden wir nicht viel, sind aber sehr dankbar dafür“, sagt Landtagspräsidentin Gödecke. „Beide sind nicht nur in theologischen, sondern auch in vielen anderen inhaltlichen Fragen gute und angesehene Gesprächspartner.“

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