Landesregierung startet Kampagne Alkohol im Alter — die verborgene Sucht

Landesregierung startet Kampagne, die das Thema aus der Tabuzone holen soll. Informationen und Hilfestellungen.

Landesregierung startet Kampagne: Alkohol im Alter — die verborgene Sucht
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Düsseldorf. Die Zahlen müssten zu denken geben: Nach einer Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums ist bei etwa 15 Prozent der Menschen, die von ambulanten Pflegediensten und in stationären Altenhilfeeinrichtungen betreut werden, von einem problematischen Alkohol- und Medikamentenkonsum auszugehen. Fast 25 Prozent der Männer im Alter zwischen 60 und 69 Jahren trinken pro Tag mindestens 20 Gramm reinen Alkohol, was zwei Gläsern Bier à 0,3 Liter entspricht. Bei Frauen liegt die Altersgruppe, in der am häufigsten riskante Mengen Alkohol getrunken werden, zwischen 50 und 59 Jahren.

Dabei sehen Fachleute bei Frauen schon den täglichen Konsum von einem Bier oder einem Glas Wein als riskant an. Jedenfalls dann, wenn sie es nicht schaffen, zwei oder drei Tage in der Woche ganz ohne Alkohol auszukommen. Das sagte am Freitag Hans-Jürgen Hallmann, Leiter der Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung NRW. Gemeinsam mit Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) stellte er die auf ältere Menschen abzielende Kampagne „Stark bleiben — für ein Leben ohne Sucht“ vor. Das solle nicht heißen — wie man im Ruhgebiet sage — „Jetzt woll’n se auch noch dem Opa sein Bier wegnehmen“, fügte der Mül-heimer Hallmann hinzu. Aber sein Appell ist durchaus ernst gemeint. Ausfallerscheinungen, die durch Alkoholkonsum, durch Medikamentensucht oder auch durch die Wechselwirkung von Alkohol und Medikamenten begünstigt werden, könnten das Risiko beträchtlich erhöhen, frühzeitig zum Pflegefall zu werden — auch wegen des erhöhten Sturzrisikos.

Dass das Thema Alkohol- und Medikamentensucht im Alter ein ernstzunehmendes Problem ist, dafür gibt es aus Sicht von Gesundheitsministerin Steffens zwei Ursachenstränge: Die gesellschaftliche und die individuelle Geschichte: Die Gesellschaft schätze nicht mehr das Lebenswerk des alten Menschen. Anders als in früheren Zeiten der Großfamilie stehe er heute mit all seinen Kompetenzen und Fähigkeiten plötzlich im Alter entwertet da. Es gebe keinen Platz mehr, wo er seine Fähigkeiten und Erfahrungen sinnstiftend in der Gesellschaft weitergeben kann. „Heute hat er oft nichts mehr, außer seinen eigenen vier Wänden.“

Und dann komme die individuelle Geschichte dazu. Steffens: „Nicht jedem gelingt es nach Ende des Berufslebens, seine Sozialkontakte zu erhalten, wenn er ein Leben lang Kraft und Wertschätzung nur aus dem Beruf gezogen hat.“ Wenn ihn dann keine Freunde oder ein Engagement in Ehrenamt oder Verein auffangen, dann sei das Risiko groß, „dass die individuelle Geschichte zuschlägt“. Dass der Weg der nur scheinbaren Problemlösung, der Alkohol, gewählt werde.

Dabei biete die dritte Lebensphase viele Chancen. Eine aktive Gestaltung des Alltags auch in diesem Lebensabschnitt sei ein wesentlicher Schutzfaktor, um ein suchtfreies Leben führen zu können. Mit der Kampagne solle das Bewusstsein dafür geschärft und konkrete Anregungen gegeben werden. „Wir wollen dazu motivieren, über den eigenen Konsum von Alkohol sowie Schlaf- und Beruhigungsmitteln nachzudenken, Gewohnheiten zu überprüfen und gegebenenfalls mit einer Ärztin oder einem Arzt darüber zu sprechen.“

Aus der Sicht von Hallmann soll die Kampagne vor allem drei Zwecken dienen. Zunächst einmal sollen die Menschen, etwa auf Seniorenmessen, aber auch über die in Apotheken und Arztpraxen ausgelegte Ratgeberbroschüre (siehe Kasten), Informationen erhalten. Informationen über den Alkohol und seine Wirkungen, die im Alter stärker sind als in jüngeren Jahren. Ebenso über die Wechselwirkung mit Medikamenten. Weiteres Ziel sei die Verbesserung der Lebensbedingungen älterer Menschen, um den Alkoholkonsum aus Not, aus Vereinsamung zu verhindern. Das könne etwa in Quartiersarbeit mit Senioren- oder Sportverbänden geschehen. Auch sollen Pflegedienste durch Fortbildung qualifiziert werden, wie sie Alkoholmissbrauch gegenüber den von ihnen Betreuten gezielt und sensibel ansprechen können. Ohne dass sich die Betroffenen dabei in die Ecke gedrängt fühlen.

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