Interview Karnevalist Bernd Stelter: „Die Silvesternacht hat uns etwas geraubt“

Der Terror von Paris, die Übergriffe an Silvester - der Karneval muss sich in diesem Jahr einigen sehr ernsten Themen stellen. Bernd Stelter ist seit fast 30 Jahre unter den Jecken. Er sagt, da sei nun ein „Schatten“.

Der Kabarettist Bernd Stelter

Der Kabarettist Bernd Stelter

Foto: Marius Becker

Köln (dpa)- Wer die Lieder von Bernd Stelter hört, erahnt, dass der Mann weiß, was die Leute an Karneval gerne hören wollen - etwa „Mahatma Glück, mahatma Pech, mahatma Gandhi“ oder „Ich hab drei Haare auf der Brust, ich bin ein Bär“. Lässt sich so ein Frohsinn auch in diesem Jahr durchhalten, nach all dem Negativen, was passiert ist? Ein Gespräch über Witze über die Silvesternacht, die Notwendigkeit des Karnevals und ein Schimmbadverbot für Flüchtlinge in seiner Heimatstadt.

Sie sind seit fast 30 Jahren im Karneval aktiv. Können sie sich an eine Session erinnern, die unter ähnlich vielen - zumindest gefühlt - negativen Vorzeichen stand wie die aktuelle?

Bernd Stelter: Anfang der 90er Jahre hatten wir den Golfkrieg. Damals wurde der Karneval auch von einem Thema getroffen, mit dem er gar nicht umgehen konnte. Da gab es die Fragen: Ganz absagen? Nur im Saal feiern? In diesem Jahr spüren die Menschen nach den Anschlägen von Paris die Nähe von Terror und Angst. Es gibt ein diffuses Unwohlsein. Es liegt ein Schatten auf den Menschen. Und damit liegt auch ein Schatten auf dem Karneval.

Sie leben in Bornheim. In einem Schwimmbad dort wurde kürzlich ein Hausverbot für männliche Flüchtlinge ausgesprochen, weil junge Flüchtlinge Frauen belästigt haben sollen. Wie haben sie die Debatte erlebt?

Stelter: Die Flüchtlingsdiskussion begann so positiv. Die Menschen haben sich mit Herzblut reingehängt. Gerade in Bornheim gab es eine Erklärung, die „Bornheimer Erklärung“, das war Willkommenskultur pur. Und plötzlich, fast übergangslos, kippte das. Köln in der Silvesternacht hat vieles verändert. Ich habe mich selbst danach gefragt: Ist das jetzt Traurigkeit oder Wut, was ich empfinde? Ich war auch unendlich traurig, weil sich ein Bild, das ich hatte, plötzlich auflöste. Konkret zu Bornheim: Wenn sich Frauen sexuell belästigt fühlen, muss eine Kommune reagieren. Ob das nun genau die richtige Reaktion war, das sei mal dahingestellt.

In Köln geben viele nun die Marschroute aus: Wir lassen uns den Karneval nicht nehmen. Glauben sie auch, dass diese ganze Vorgeschichte wirklich nichts an der Ausgelassenheit verändern wird?

Stelter: Das kann nicht spurlos an den Leuten vorbei gehen, das wäre ja auch bedenklich. Aber es stimmt, dass wir gerade jetzt feiern müssen. Im Karneval trifft man Leute, man geht raus. Wir feiern unsere Lebensfreude. Karneval ist etwas ganz Wichtiges.

Gerade in Köln gibt es ja ein gewisses Selbstbild: aufgeschlossen, tolerant, alle sind willkommen. Hinzu kommt eine gewisse Körperlichkeit, gerade im Karneval. Die Leute geben sich ein „Bützje“, also ein Küsschen, auch mit Fremden. Wird sich daran etwas ändern?

Stelter: Die von Frau Reker empfohlene Armlänge Abstand passt dazu nicht, das stimmt. Das „Bützje“ gehört eigentlich zum Karneval. Ich glaube in der Tat, dass die Leute mehr darauf achten werden, wen man kennt und wen man nicht kennt, wer zur Clique gehört und wer nicht. Und wenn dann jemand Fremdes kommt, wird sicherlich ein komisches Gefühl da sein. Es wäre ja auch komisch, wenn nicht.

Aber raubt das dann nicht in gewisser Weise die Seele des Festes? Dazu gehörte doch immer, raus zu gehen und sich auch ein wenig treiben zu lassen.

Stelter: Diese Silvesternacht hat uns etwas geraubt - das stimmt. Aber wenn dadurch der Blick geschärft wird für Dinge, die nicht gehen, dann kann sie auch eine heilsame Zäsur gewesen sein. Darauf hoffe ich.

Sie treten im Karneval auf vielen Bühnen auf, als Musiker und Redner. Lässt sich dieses Thema eigentlich humorvoll besprechen?

Stelter: Ich selbst mache keine Witze darüber, aber es ist Teil meines Programms, darüber zu reden. Ich habe dafür einen Part über Donald Trump herausgenommen. Bei mir ist es ein Statement über Integration. Man kann darüber sicherlich auch irgendwann Witze machen. Es ist schon zu viel geschwiegen worden. Wenn man dieses Thema weglässt, dann redet man über Nichts. Ich will nicht über Nichts reden.

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