Justizminister verklagt Richter

Ein Verfahren wird zum Politikum: Ein Essener Richter, der für die Rechte von NS-Opfern eintritt, stand am Donnerstag vor Gericht.

Sozialrichter Jan-Robert von Renesse gab in einer Verhandlungspause Interviews.

Sozialrichter Jan-Robert von Renesse gab in einer Verhandlungspause Interviews.

Foto: David Young

Düsseldorf. Es ist ein eher seltenes Ereignis: Ein Richter steht vor Gericht. Der Vorwurf: Rufschädigung der Justiz. Der Kläger: Sein Dienstherr, das Justizministerium des Landes Nordrhein—Westfalen unter Justizminister Thomas Kutschaty (SPD). Der Angeklagte: Der Essener Richter am Landessozialgericht, Jan-Robert von Renesse (49), der sich um die Belange von ehemaligen Zwangsarbeitern in osteuropäischen Ghettos verdient gemacht hat.

Von Renesse stand am Donnerstag vor dem Richterdienstgericht in Düsseldorf. Dort werden dienstrechtliche Vergehen verhandelt. Das Justizministerium fordert eine Geldbuße von 5000 Euro von dem Richter. Ein Streitpunkt ist ein Brief des Richters an den Bundestag. Darin soll er behauptet haben, Holocaust-Opfer seien vor deutsche Gerichten um ihre Ansprüche gebracht worden. Die Justiz fühlt sich diskreditiert.

Der Streit hat eine lange Vorgeschichte. Von Renesse war von 2006 bis 2010 beim Landessozialgericht in Essen zuständig für Rentenzahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter in osteuropäischen Ghettos während der NS-Zeit. Er setzte sich für die Antragssteller ein und betrieb großen Aufwand, um ihnen ihre Rentenzahlungen möglich zu machen. Das brachte ihm großes Renommee nicht nur in Israel ein.

Erst seit 2002 gibt es ein Gesetz zur Bewilligung von Renten aus „Beschäftigungen in einem Ghetto“. 70 000 Anträge sind damals eingegangen. Wegen der engen Richtlinien der Rentenversicherungsträger wurden aber 90 Prozent der Anträge abgelehnt.

Erst 2009 gibt es eine Reform, die die Erfolgsaussichten erhöht. Von Renesse hatte darauf großen Einfluss. Statt über die Rentananträge nach Aktenlage zu entscheiden, fährt er nach Israel, um Überlebende des Holocausts, die in Ghettos arbeiten mussten, zu befragen. Er machte es den Opfern des NS—Regimes damit leichter, vor Gericht auszusagen und für ihre Rechte einzutreten.

Durch seine Arbeit habe er „zahlreichen Schoah-Überlebenden auch einen Teil ihrer Würde zurückgegeben“, sagt der Zentralrat der Juden in einem Brief an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) anlässlich des Verfahrens, den die „Jüdische Allgemeine“ zitierte. Der Zentralrat bittet darin darum, die Verdienste des Richters in der Beurteilung zu berücksichtigen.

Auch die Dachorganisation der Shoah-Überlebenden hat sich geäußert. Sie sieht das Ansehen der Bundesrepublik durch das Verfahren gefährdet.

Von Renesse gilt in Israel als Held. Unter Richtern aber nicht. Denn auch das Gesetz kritisierte er mit dem jetzt behandelten Brief. Von Renesse, der am Donnerstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen war, sagte dem Deutschlandfunk einmal: „Ich habe versucht, für meine Auffassung zu werben, und es ist im Ergebnis zu einem großen Konflikt geworden, das ist wahr, bis hin zu einem Disziplinarverfahren.“ Das läuft seit 2012 und wurde nun verhandelt.

Der Essener Richter hatte in den Medien behauptet, dass während einer Krankheit Anordnungen aufgehoben und Akten vernichtet worden seien. Das Justizministerium bestreitet das. Ebenso wie die Anschuldigung von Renesses, es habe Geheimtreffen zwischen den deutschen Rentenversicherern und dem Landessozialgericht zum Nachteil der NS-Opfer gegeben. Markus Strunk, Sprecher des Justizministeriums: „Niemand bestreitet die Verdienste des Richters. Aber sein Verhalten in der Öffentlichkeit muss sich ändern.“

Das Richterdienstgericht Düsseldorf hat am Donnerstag kein Urteil gesprochen. Erst einmal sollen von Renesse und das Ministerium selbst eine Einigung suchen. Denn, so der Richter, „hier wird keiner als Gewinner rausgehen.“

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