Iran „Im Iran geht es ums große Ganze“

WUPPERTAL · Natalie Amiri als Gast der Politischen Runde in Wuppertal: Leidenschaftlicher Appell einer erfahrenen Journalistin.

Bei einer Demonstration in Barcelona schneidet sich eine Frau aus Solidarität mit den Iranerinnen die Haare.

Bei einer Demonstration in Barcelona schneidet sich eine Frau aus Solidarität mit den Iranerinnen die Haare.

Foto: dpa/Lorena Sopêna

Natalie Amiri ist leidenschaftliche Journalistin. Das merkt man der in einer deutsch-iranischen Familie aufgewachsenen 44-Jährigen an. Von 2015 bis 2020 hat sie das ARD-Studio in Irans Hauptstadt Teheran geleitet. Jetzt, keine zwei Wochen nach dem Tod von Masha Amini in Teheran, ist sie auf Einladung der Bergischen Volkshochschule bei der „Politischen Runde“ in Wuppertal zu Gast. Da spricht die „Journalistin des Jahres 2021“ eindringlich, mahnend, politisch und kämpferisch über die Lage nach dem Tod Aminis.

Die 22-jährige Amini war am 16. September von der Sittenpolizei in Teheran wegen eines Verstoßes gegen die islamische Kleiderordnung festgenommen worden. Was genau mit ihr nach ihrer Festnahme geschah, ist unklar. Bekannt ist, dass sie ins Koma fiel und in einem Krankenhaus starb. Kritiker werfen der Polizei vor, Gewalt angewendet zu haben.

Im Iran gingen daraufhin die Menschen auf die Straße. Journalistin Amiri sagt: „Frauen schneiden sich auf öffentlichen Plätzen die Haare ab, sie verbrennen ihre Kopftücher, sie tanzen auf der Straße unter frenetischem Beifall der Männer.“ Auch die Männer wollten das diskriminierende Leben der Frauen nicht.

 Natalie Amiri

Natalie Amiri

Foto: IMAGO/Panama Pictures/IMAGO/Christoph Hardt

„Es geht bei den Protesten nicht um das Kopftuch, nicht um einzelne Zugeständnisse, sondern es geht ums große Ganze“, sagt Amiri. Die Menschen seien so frustriert und so müde von dem politischen System, dass diese Wut sie jetzt auf die Straße treibt.“ Sie schätze, dass etwa 70 Prozent der Menschen das System der von den Mullahs beherrschten islamischen Republik ablehnen.

Doch vor dem Hintergrund, dass die Machthaber das Internet gedrosselt, dass sie Whatsapp und Instagram komplett gesperrt haben, befürchtet Amiri das Schlimmste. „Das Regime hat den Menschen ihre einzige Waffe genommen. Denn das Verabreden, das Absprechen, sich zu Tausenden protestierend an einem Platz zu versammeln, sei doch die Lebensversicherung für die Menschen. Träfen sich nur 20, so könnten sie leicht einkassiert werden. Und doch gäben die Menschen nicht auf, protestierten weiter, sagt Amiri. „Die Wut ist so groß.“

Da seien Junge und Alte, Männer und Frauen geeint. Die Alten entschuldigten sich bei den Jungen, dass sie ihnen dieses Erbe der islamischen Republik hinterlassen haben. Sie hätten 1979 den Schah loswerden wollen, um eine freieres Iran zu bekommen. Doch dann sei aus der iranischen die islamische Revolution geworden.

Kalkulation der Mullahs: Keine Bilder, keine Berichterstattung

Zwar gehen mittlerweile auch in verschiedenen europäischen Städten die Menschen auf die Straße. Zwar gibt es auch Protest von politischer Seite (Infokasten). Doch für Amiri ist das immer noch ein „ohrenbetäubendes Schweigen“. Und sie nimmt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in die Pflicht. „Jetzt könnte sie doch par excellence zeigen, was die von ihr angekündigte feministische Außenpolitik bedeutet. Denn hier werden Frauen niedergeprügelt, weil sie Freiheit wollen.“ Wenn nicht jetzt, wann dann wolle man sich denn für die westlichen Werte einsetzen, von denen immer die Rede sei.

Die Rechnung des iranischen Regimes ist laut Amiri diese: Das Internet wird gedrosselt, es dringen keine Bilder mehr nach außen, auch wenn Zehntausende Menschen für ihr Leben kämpfen. Stattdessen würden Bilder über die Beisetzung der Queen gezeigt.

„Wir machen uns zu Handlangern der islamischen Republik und führen ihren Willen aus, wenn wir nicht berichten.“ Wenn stattdessen über die Queen berichtet werde, so löse das bei ihr ein deja vu aus, sagt Amiri. 2009, da habe sie selbst als Korrespondentin aus dem Iran berichtet, seien Hunderttausende auf die Straße gegangen. Und dann sei der US-Popstar Michael Jackson gestorben. „Keine Redaktion wollte mehr was aus dem Iran haben. So funktionieren Medien und dadurch wird Geschichte geändert“, sagt die Journalistin verbittert.

Übrigens hat Außenministerin Annalena Baerbock mittlerweile reagiert. „Wir werden im EU-Kreis jetzt sehr schnell über weitere Konsequenzen sprechen müssen, dazu gehören für mich auch Sanktionen gegen Verantwortliche“, sagte die Grünen-Politikerin. Der Versuch, jetzt friedliche Proteste mit noch mehr tödlicher Gewalt zu unterdrücken, dürfe nicht unbeantwortet bleiben. Und: „Frauenrechte sind der Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft. Wenn in einem Land Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher.“ Der iranische Botschafter wurde ins Auswärtige Amt einbestellt.

Ob das reicht, ist fraglich. Für Amiri hat der Westen ziemlich viel falsch gemacht in seiner Iranpolitik. US-Präsident Joe Biden habe viel zu lange gewartet, das Atomabkommen zu reaktivieren, aus dem sein Vorgänger Donald Trump ausgestiegen war. Iran habe mittlerweile weiter angereichertes Uran, so dass man inzwischen eine Atombombe bauen könne, es fehlten nur noch Sprengköpfe. „Die Uhr tickt“, mahnt Amiri. Sie habe das Gefühl, der Westen verlasse sich nur auf das existenziell bedrohte Israel und dessen Sabotageakte gegen Irans Atomanlagen.

Iran sei bereits von China vereinnahmt. Und Russland helfe dem Regime etwa durch das Trainieren der Geheimdienste bei der Unterdrückung der Menschen. Derzeit sei der Iran größter Abnehmer von russischem Weizen. Und der Iran habe Russland Drohnen geschickt, die in der Ukraine eingesetzt würden.

Die Sanktionen gegen den Iran hätten dazu geführt, dass es dort keine Mittelschicht mehr gebe. Und während die Kinder der Revolutionsgarden in Luxusautos durch die Straßen fahren und Partys feierten, wisse die Mehrheit der Iraner kaum, wie sie noch ihren Alltag finanzieren soll. Und doch begegneten ihr immer wieder Menschen, die nach einer Reise in den Iran mit Tränen in den Augen von der Gastfreundschaft der Iraner erzählten.

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