Der CDU-Vorsitzkandidat und sein Versuch eines Bekenntnisses Jens Spahn: „Ich bin überzeugter Katholik“

Hamburg · Wettbewerb um den CDU-Vorsitz: Spahn kritisiert im neuen Kursbuch eine „politisch eingefärbte Sozialmoral“ der Kirchen in der Flüchtlingsdebatte.

Jens Spahn (CDU) nimmt bei seinem Besuch des Wohnprojekts „ZIK - zuhause im Kiez“ für Menschen mit HIV an einer Gesprächsrunde teil.

Jens Spahn (CDU) nimmt bei seinem Besuch des Wohnprojekts „ZIK - zuhause im Kiez“ für Menschen mit HIV an einer Gesprächsrunde teil.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Pünktlich zum 1. Advent sägt das renommierte „Kursbuch“ mit seiner 196. Ausgabe am Christbaum: Im Heft „Religion, zum Teufel!“ geht es vor allem um die Methoden und Grenzen religiöser Machtausübung. Stärkster Autor der Ausgabe ist der katholische Theologe Gregor Maria Hof, immer ein (wenn auch wirrer) Lesegewinn der Pop-Philosoph Diedrich Diederichsen, der hier schreibend dem Gedanken hinterher streunert, in der Überwindung der Distanz von Intimsphäre und öffentlicher Sichtbarkeit könne das religiös-ekstatische Potenzial der Pop-Musik liegen.

Das alles wird jedoch überlagert von einem Gastautor, der sich vor allem für ein Thema interessiert, das keineswegs zufällig genauso heißt wie der Autor selbst: Jens Spahn. In genau einer Woche ist der Nach-Merkel-Parteitag, und Spahn will Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands werden. Da kann ein bisschen Religions-Publizistik unter der Überschrift „Christ und Demokrat in der Union“ in einem Renommier-Titel wie dem Kursbuch nur nützen. Allerdings hat Spahn den Text wohl bereits im September geschrieben, als er noch gar nicht wissen konnte, wie nützlich der Beitrag im Dezember sein würde.

Herausgeber: „Hatten uns davon Auskunft versprochen.“

Kursbuch-Herausgeber Armin Nassehi sah sich offenbar zu einer länglichen Erklärung genötigt, warum er den zur leichtgewichtigen Äußerungsfreude neigenden Bundesgesundheitsminister überhaupt um einen Gastbeitrag gebeten hat: „Warum Jens Spahn? Spahn hat öfter darauf hingewiesen, dass er als konservativer und nach Selbstauskunft eher pragmatischer Politiker sich selbst in seiner Politik durchaus religiös motiviert sieht, aber Religion nicht in erster Linie als Generator von Moral versteht. Wir haben Spahn um diesen Beitrag gebeten, weil wir uns davon Auskunft versprochen haben, wie denn diese Differenz zu anderen politischen Selbstpositionierungen als religiöser Politiker aussehen könnte. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Spahn sein Bekenntnis zur und seine Erklärung der Demokratie durchaus mit einer religiösen Begründung verbindet.“

Spahns erster Satz beginnt mit seinem Lieblingsthema, also Spahn, und fängt daher selbstverständlich mit „ich“ an. Das ist, so muss man einräumen, für Bekenntnistexte im Christentum nicht ungewöhnlich, siehe das Apostolische Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Dort folgen 19 weitere Bekenntniszeilen vor dem Amen. Das kann Spahn natürlich kürzer und pragnanter: „Ich bin überzeugter Katholik.“

Von was genau am Katholischsein Spahn überzeugt ist, bleibt offen

Dem könnte ein spannender Argumentationsgang folgen, von was genau Spahn - bekennender konservativer Homosexueller - am Katholischsein und der katholischen Kirche überzeugt ist, deren Überlieferung homosexuellen Handlungen für „in sich nicht in Ordnung“ hält und als offizielle Lehre zu ihnen feststellt: „Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz“ (Katechismus, 2357). Von all dem bei Spahn kein Wort. In lediglich einem einzigen Nebensatz spricht er von „tief bedrückenden Verfehlungen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch.“

Ansonsten hält Spahn es „für gut und wünschenswert, dass sich die Kirchen zu Wort melden, wenn es um grundsätzliche Fragen geht, die zumeist auch echte Glaubensfragen sind.“ Während er diesen Essay schreibe, entspinne sich eine Debatte über die Regelung zur Organspende in Deutschland (zufällig angeschoben von Jens Spahn). „Dass sich Gläubige, Pfarrer und Bischöfe dazu zu Wort melden, ist wichtig“, schreibt Spahn, dem man in diesem Fall zugute halten muss, dass er den Papstvergleich von Schwangerschaftsabbrüchen mit Auftragsmord zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen konnte. Weder wichtig noch wünschenswert findet es Überzeugungskraft-Katholik Spahn dagegen, „wenn sich hohe Funktionäre der Kirchen zu Sachfragen der Tagespolitik äußern und oft genug ohne Detailkenntnis im Ton moralischer Empörung und Überhöhung Steuer-, Renten- oder außenpolitische Fragen kommentieren“.

Spahn kritisiert „Moralismus“ und „enge Gesinnungsethik“

Man ahnt, worauf Spahn Absatz für Absatz zurobbt: Besonders problematisch werde es, „wenn sich Religion und Moral vermengen und auf dieser Grundlage politischer Druck ausgeübt wird. Ich empfinde es als irritierend, wenn ein religiös inspirierter oder kirchlich unterstützter Moralismus um sich greift und von der Gesellschaft wie der Politik fordert, seiner engen Gesinnungsethik Folge zu leisten. Aktuell zu beobachten beim Thema Migration und im Umgang mit Asylsuchenden“. Unter Berufung auf den Theologen Friedrich Wilhelm Graf findet Spahn, christlicher Glaube, egal ob protestantisch oder katholisch, müsse mehr sein als „politisch eingefärbte Sozialmoral“.

Bei „aller Intellektualität und Gelehrsamkeit, die es in den beiden Kirchen und ihren Unterorganisationen, Hochschulen und Seminaren gibt“ seien für ihn als Katholik der Glaube „und seine auf diesem Fels gebaute Organisation primär die Quelle von Gnade und Vergebung, die mich von Schuld und Angst befreit und zu mir hält, auch wenn ich gefehlt habe oder verzagt bin. Ich suche im Glauben vor allem Halt und Spiritualität, Inspiration und Antrieb. Und ich habe den Eindruck, damit stehe ich nicht alleine.“

Zu deutsch: Tröstung gern, Belehrung nicht so gern, zumal für den Politiker Spahn gilt: „Die reine Lehre der Kirchen ist das eine, die Lebensrealität eines säkularen Staates etwas anderes. Ins Parlament bin ich von Bürgern gewählt und nicht von einer Kirche entsandt.“ Christ zu sein bedeutet für ihn, Demokrat zu sein, so Spahn: „Ohne Wenn und Aber. Denn der Ausgangspunkt ist: Wir sind alle gleich geschaffen.“

Diese christliche Grundannahme habe unsere Kultur geprägt, das Grundgesetz maßgeblich beeinflusst und bilde „das Fundament für jeden demokratischen Entscheidungsfindungsprozess“. Dagegen seien „schnelles Urteilen und gegenseitiges Verurteilen“ Gift für die Demokratie, seiner Auffassung nach „nicht nur undemokratisch, sondern eben auch unchristlich“, so Spahn. Viel weiter weg von allen aktuellen innerkirchlichen Debatten kann ein katholischer Bekenntnistext kaum sein. Spahn selbst fand ihn freilich so gut, dass er ihn vorab auch in der „Welt“ veröffentlichte.

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