Interview mit SPD-Generalsekretär Hubertus Heil: „Rüttgers ist ein Sozialschauspieler“

Hubertus Heil giftet gegen die CDU. Er wirft Kanzlerin Angela Merkel Führungsschwäche und NRW-Ministerpräsident Rüttgers Heuchelei vor.

Berlin. Frage: Haben Sie eine Erklärrung dafür, warum NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) besser bei den Arbeitern ankommt als seine SPD-Herausforderin Hannelore Kraft? Einer Forsa-Umfrage zufolge würden in Nordrhein-Westfalen 57 Prozent der Arbeiter für ihn votieren, nur 12 Prozent für Kraft.

Heil: Rüttgers ist durchsichtig. Wenn er sich auf Johannes Rau bezieht und gleichzeitig unsoziale Studiengebühren einführt, missbraucht er den Namen Raus. Rüttgers vermag zwar kurzfristig mit sozialer Rhetorik abzulenken. Aber immer mehr Menschen erleben in ihrem Lebensalltag, dass Worte und Taten bei ihm nicht passen.

Heil: Abwarten. Tatsächlich ist Rüttgers ein Sozialschauspieler. Bei Bildung, Sparkassen und Arbeitnehmerrechten, zeigt sich, dass er es nicht ernst meint, wenn er sozial daherredet. Gegenüber der Bundespolitik agiert er wie Seehofer: Sie suchen die Konfrontation mit der Bundesregierung, um sich zu profilieren. Deshalb sind Rüttgers und Seehofer eher ein Problem für Angela Merkel als für uns. Die CDU-Vorsitzende scheint nicht in der Lage zu sein, hier ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.

Heil: Wir haben oft erlebt - etwa bei Umwelt, Finanzen und Gesundheit - dass sie taktisch vor innerparteilichem Druck einknickt. Sie ist zu oft CDU-Vorsitzende, wo sie Kanzlerin sein müsste. Bei der Bundestagswahl wird es um die Frage gehen, wer Deutschland sicher in das neue Jahrzehnt führen kann. Dafür braucht man klare Überzeugung und die Kraft, diese in der eigenen Partei durchzusetzen. Taktieren reicht nicht.

Frage: Was sagen die Vorgänge um Wirtschaftsminister Glos über den Zustand der Union aus?

Heil: Der Vorgang wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Unions-Schwesterparteien. Es gibt die berechtigte Erwartung der Öffentlichkeit, dass diese Frage zügig geklärt werden muss. Die Probleme der CDU und CSU dürfen die Arbeit der Bundesregierung nicht weiter behindern. Merkel und Seehofer müssen ihre Personalangelegenheiten lösen.

Frage: Allenthalben wird über die Verstaatlichung von Banken und selbst von Industrien-Unternehmen diskutiert. Werden die Grenzen überschritten?

Heil: Verstaatlichung ist kein Selbstzweck. Sie ist immer nur das letzte Mittel, etwa wenn der Zusammenbruch einer Bank dramatische Folgen für Wirtschaft und Arbeitnehmer hätte.

Frage: Es ist also notwendig, die angeschlagene Großbank Hypo Real Estate zu verstaatlichen?

Heil: Experten sagen uns, dass ein Zusammenbruch der HRE ähnliche Folgen hätte wie die Lehman-Pleite. Wenn der Staat, um das Schlimmste zu verhindern, immense Summen an Steuergeld in die Hand nehmen muss, ist es auch konsequent, staatliche Kontrolle in diesem Unternehmen auszuüben.

Frage: Wäre auch bei Opel ein Staatseinstieg als Notlösung denkbar?

Heil: Bei Opel geht es um Bürgschaften. Das Unternehmen ist in Deutschland im Kern gesund. Probleme ergeben sich durch den US-Mutterkonzern General Motors. Wir wollen, dass Opel weiter produzieren kann.

Frage: Aber die Krise lässt sich doch nicht allein durch staatliche Rettungsaktionen lösen.

Heil: Richtig. Wir müssen an die Ursachen der Krise ran. Wir brauchen etwa neue Regeln für das Handeln von Managern - namentlich bei der persönlichen Haftung und der steuerlichen Absetzbarkeit von Abfindungen. Wir benötigen auch einen TÜV für Finanzprodukte. Wir brauchen neue Regeln für die soziale Marktwirtschaft in der Zeit der Globalisierung.

Frage: Ihr Parteichef Franz Müntefering hat der Linkspartei eine "nationale soziale Politik" vorgeworfen. Geht die NSDAP-Anspielung nicht zu weit?

Heil: Es geht um etwas Anderes. Die Linkspartei suggeriert, in der globalisierten Welt könne man allein mit nationalstaatlichen Konzepten agieren. Ich nenne das Gartenzwerg-Sozialismus.

Frage: Würden Sie das Verhältnis der SPD zur Linkspartei als geklärt bezeichnen?

Heil: Ja. Wir setzen uns mit der Linkspartei inhaltlich auseinander, wie mit anderen politischen Gegnern. Gerade die aktuelle Krise zeigt, dass die Linkspartei auf Bundesebene weder regierungswillig noch regierungsfähig ist.

Frage: Wie wollen Sie den Menschen erklären, wenn die SPD kurz vor der Bundestagswahl Bündnisse mit der Linkspartei im Saarland oder in Thüringen eingeht?

Heil: Man kann nur mit denjenigen regieren, mit denen auf der jeweiligen Ebene verantwortliche Politik möglich ist. Keine Bundesregierung darf sich von einer Partei abhängig machen, die etwa die Europäische Union in Frage stellt oder die NATO auflösen will.

Frage: Wird sich auch Altkanzler Gerhard Schröder im Wahlkampf engagieren?

Heil: Gerhard Schröder steht uns mit Rat und Tat zur Seite. Er wird zwar nicht über die Marktplätze ziehen, aber auf seine Weise mithelfen, dass Frank Steinmeier Bundeskanzler wird.

Frage: Täuscht der Eindruck, dass sich die SPD-Spitze selten mit Gesine Schwan zeigt, ihrer Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten?

Heil: Dieser Eindruck ist falsch. Wir sind der festen Überzeugung, dass Gesine Schwan als Bundespräsidentin Gutes für unser Land bewirken kann.

Frage: Wozu benötigt die SPD eigentlich eine eigene Kandidatin, wenn SPD-Fraktionschef Peter Struck dem Amtsinhaber eine "ordentliche Arbeit" bescheinigt?

Heil: Uns geht es nicht darum, den Amtsinhaber schlecht zu machen. Wir wollen, dass Gesine Schwan Bundespräsidentin wird, weil sie die richtigen Impulse geben kann, um Staat, Politik und Gesellschaft in den kommenden Jahren wieder enger zusammen zu bringen. Mit zwei respektablen Kandidaten gibt es einen Wettbewerb, der unserer Demokratie nur gut tun kann.

Frage: Zwei? Sie vergessen den dritten Kandidaten: Peter Sodann, der für die Linke antritt.

Heil: Ich weiß, was ich sage.

Frage: Geben Sie Frau Schwan Recht, wenn sie Bundespräsident Köhler vorwirft, er nehme eine "Erosion der Demokratie" in Kauf?

Heil: Wir greifen den Amtsinhaber nicht an, sondern müssen über die Sache reden: Wie ist es um die Zukunft unserer Demokratie bestellt? Die Freude über 60 Jahre geglückte Demokratie darf den Blick dafür nicht verstellen, dass das Vertrauen in unsere Gesellschaftsordnung immer wieder neu begründet werden muss. Für solche Debatten kann Gesine Schwan die richtigen Anstöße geben.

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