Integration: „Für mich ist es Teil meiner Identität“

Junge Belgierin ist die erste Kopftuch-Trägerin im Parlament eines EU-Staats.

Brüssel. Ihr Gesicht kennt fast jeder im Viertel, die braunen Augen unter dem eng anliegenden Kopftuch. "Es ist wirklich super, dass Sie ins Parlament gekommen sind", sagt eine Frau, als sie Mahinur Özdemir im Straßencafé sitzen sieht.

Die 26-Jährige lächelt. Zuspruch tut ihr sichtlich gut, denn sie hat auch andere Reaktionen erlebt - Beschimpfungen oder Mitleid, sie weiß nicht genau, was schlimmer ist.

Mahinur Özdemir trägt ein braun-weiß gemustertes Kopftuch, eine weiße Bluse mit grauer Weste und einen langen Jeansrock - nichts Auffälliges in einem Viertel, das in Brüssel auch Klein Istanbul genannt wird. In den Straßen gibt es türkische Teehäuser und Dönerbuden, es gibt Läden mit türkischen Spezialitäten und Märkte, die Basaren ähneln.

Und jetzt gibt es auch noch eine Politikerin mit Kopftuch, die für Aufsehen sorgt - weil sie die erste ist in Westeuropa, die das muslimische Symbol in einem Parlamentsgebäude trägt, und weil seitdem eine hitzige Debatte entbrannt ist, ob man so etwas zulassen darf.

Seit Juni sitzt Mahinur Özdemir im Brüsseler Regionalparlament - als Mitglied einer christdemokratischen Partei, der Centre Démocrate Humaniste (CDH).

Die junge Türkin fühlt sich in ihrer politischen Familie gut aufgehoben, weil sich diese gegen Diskriminierung einsetzt und weil sie sich dem Humanismus verschrieben hat - dem Respekt und der Toleranz gegenüber anderen Menschen. "Das sind Werte, die mir gefallen."

Mahinur Özdemir ist in Brüssel geboren, als Einwandererkind der dritten Generation. Ihre Eltern betreiben in Schaerbeek einen Gemüseladen. Sie ging auf eine katholische Grundschule, studierte an der Uni Brüssel Verwaltungsrecht und Politikwissenschaft und ist das, was man als voll integriert bezeichnet.

"Ich bin absolut Belgisch, eine Brüsselerin, eine Muslima", betont sie. Deswegen versteht sie auch den Wirbel um ihr Kopftuch nicht. Als Mahinur Özdemir vor rund vier Jahren in den Gemeinderat gewählt wurde, erklärte sie, dass sie es keinesfalls ablegen werde. Sie wolle ihre Wähler nicht belügen, denn die hätten sie schließlich so gewählt.

Kollegen der liberalen Partei protestierten: Ein religiöses Symbol habe in einer politischen Vertretung nichts zu suchen. Rechtsradikale beschimpften sie sogar als "Türkenschlampe". Doch die Abgeordnete ließ sich nicht klein kriegen.

Özdemir trägt das Kopftuch, seit sie 14 Jahre alt ist - auf eigenen Wunsch. Es habe keinen Zwang in ihrer Familie gegeben. Im Gegenteil: Ihre Schwester zum Beispiel hat sich gegen das Kopftuch entschieden. "Für mich ist es Teil meiner Identität."

Und mittlerweile vielleicht auch so etwas wie ein Ausdruck des Protestes, aber das sagt sie so nicht. Sie sagt nur, dass es auch für sie Grenzen gebe. Das Tragen von Hidschab oder Burka beispielsweise sei inakzeptabel, weil sie alles verhüllen. "Man muss das Gesicht sehen, es ist die Visitenkarte eines Menschen", ist Özdemir überzeugt. Schließlich habe sie nichts zu verbergen.

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